Rainer Münz: Religion ist kein Integrationshindernis

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Bevölkerungs-Wissenschaftler Rainer Münz, Mitglied in einem EU-Weisenrat, glaubt, dass Österreich das Potenzial seiner Migranten nicht ausschöpft und für qualifizierte Zuwanderer nicht attraktiv genug ist.

Die Presse: Was ist Aufgabe des EU-Weisenrats, dessen Mitglied Sie sind?

Rainer Münz: Er wurde von den Staatschef der 27 EU-Mitgliedstaaten auf Zeit eingerichtet. Ursprünglich sollten wir nach dem Beschluss des Lissabon-Vertrags ein paar langfristige Perspektiven entwickeln. Weil wir nun aber nicht wissen, ob der Vertrag in Kraft tritt und es auch akute Themen gibt, haben sich unsere Aufgaben verändert. Wir werden auch über kurzfristige Fragen wie Finanzkrise, Migration, Terrorismus nachdenken. 2010 soll ein kurzer, gut lesbarer Bericht gelegt werden.

Ändert sich durch die Finanzkrise nicht alles? Brauchen wir etwa wegen der nun folgenden Jobkrise jetzt nicht weniger Zuwanderung als noch vor Kurzem angenommen?

Münz: Diese Krise wird vorübergehen – so wie alle anderen seit Beginn der industriellen Revolution. Daher wird es in Zukunft wieder eine Nachfrage nach Arbeitskräften geben. Langfristig stehen wir in Österreich und in anderen entwickelten Teilen der Welt vor folgendem Problem: Durch schrumpfende Kinderzahlen kommen weniger junge Menschen auf den Arbeitsmarkt, als Ältere durch Pensionierung ausscheiden.

Aber entwickelt sich nicht gleichzeitig ein Bildungsproletariat in Österreich? Wäre es nicht besser, diese Menschen – unter anderem auch Zuwandererkinder – höher zu qualifizieren, als Ausländer zu holen?

Münz: Wir schöpfen tatsächlich das Potenzial derer, die schon länger im Land sind, nicht aus. Das gilt auch für höher qualifizierte Migranten.

Und was macht man mit jenen Zuwanderern, die aus armen ländlichen Regionen stammen und hier in Österreich ein riesiges Bildungs- und Integrationsproblem haben?

Münz: Wir haben ab den 1960er-Jahren Arbeitskräfte für Schwerarbeit und Hilfstätigkeiten angeworben. Durch den Familiennachzug kamen Menschen vergleichbar geringer Qualifikation nach. Das vererbt sich oft in die nächste Generation, weil unser Bildungssystem für Benachteiligte nicht sehr durchlässig ist. Das haben wir lange ignoriert und ein Langfristproblem erzeugt. Und wir haben es durch unsere Migrationspolitik verstärkt. Die sehr zögerliche, letztlich aber doch stattfindende Familienzusammenführung erzeugt unnötig viele späte Quereinsteiger in unser Bildungssystem.

Türkische Vereine beklagen, dass Judenfeindlichkeit von Türkenfeindlichkeit abgelöst wurde. Türken werden als Sündenböcke betrachtet. Oder gibt es vielleicht doch ein Muslimeproblem?

Münz: Ich glaube nicht an „Probleme“, die primär mit dem Islam zu tun haben. Während der Balkankriege nahmen wir ca. 75.000 bosnische Muslime als Flüchtlinge auf. Ich habe noch nie gehört, dass deren Religion ein Integrationshindernis war.

Welche Zuwanderer kommen jetzt?

Münz: Seit Beginn des 21. Jahrhunderts kommen vorwiegend Bürger alter wie neuer EU-Staaten zu uns – vor allem aus den Nachbarländern. Die am raschesten wachsende Gruppe sind die Deutschen. Inzwischen gibt es hierzulande mehr deutsche als türkische Staatsbürger.

Sind wir für qualifizierte Zuwanderer denn einladend genug?

Münz: Für qualifizierte Zuwanderer aus weiter entfernten Teilen der Welt existiert Österreich als Wanderungsziel gar nicht – was auch mit der Sprache zusammenhängt. Deutsch wird fast nirgendwo in der Schule gelernt, Englisch hingegen in vielen Teilen der Welt. Länder wie die USA, Kanada oder Australien machen legalen Zuwanderern außerdem ein großzügigeres Angebot: lebenslanges Aufenthaltsrecht vom ersten Tag an, Angehörige dürfen sofort mitkommen und haben gleich Zugang zum Arbeitsmarkt.

Durch die Krise wird es in manchen Branchen Rückwanderungen in die Herkunftsländer geben.

Münz: Ja etwa aus Irland zurück nach Polen oder aus Spanien nach Rumänien. Viele Länder sehen in heimkehrenden Migranten eine Chance. Denn diese bringen neue Sprachkenntnisse, Fachwissen und oft auch Geld mit. In Rumänien wurde bis vor Kurzem händeringend nach Arbeitskräften gesucht. Wenn sich die Krise verlängert, könnten aber auch Leute aus ihren Heimatländern wegwandern, wenn sie dort keine Chancen mehr für sich sehen.

Warum wandern mittlerweile aus Österreich mehr Hochgebildete aus als hereinkommen?

Münz: Bei Hochschulrankings kommen wir erst ab Platz 140 vor. Wissenschaftliche Topkarrieren finden überwiegend außerhalb Österreichs statt.

Sind die Bedingungen in Deutschland besser?

Münz: An einem Standort wie Berlin ist die Forschungsdichte und damit auch die Kooperationsmöglichkeit von Wissenschaftlern höher.

Hat Österreich einiges vernachlässigt?

Münz: Österreich hatte nach 1945 lange Zeit nicht das Ziel, Forschungsinstitute und Forscher von Weltklasse anzusiedeln. Dennoch halten wir in bestimmten Bereichen mit der Weltspitze mit, so wie wir ja auch Kulturleistungen von Weltniveau hervorbringen. Trotzdem fehlt uns ein Teil der Topspitze. Zugleich gibt es – wie übrigens auch in Deutschland und der Schweiz – zu wenig Absolventen von ingenieurwissenschaftlichen Studien.

Zurück zum EU-Weisenrat: Er soll mithelfen, die EU sozialer und bürgernäher zu machen.

Münz: Richtig. Wobei die EU in keiner anderen Situation ist als etwa die USA. Auch dort herrscht oft der Eindruck, dass in Washington unpopuläre Maßnahmen von einer seelenlosen Bürokratie getroffen werden. Eine ähnliche Anti-Brüssel-Tendenz gibt es in Europa.

Die Krise hat diese Gefühle jetzt aber wohl geändert. Nun freut man sich in Europa wieder über ein schützendes Dach, oder?

Münz: Ja, in Island ist die EU-Skepsis über Nacht verschwunden. Und in der EU gibt es sehr viele Menschen, die nun doch sehr zufrieden sind, dass es eine gemeinsame Währung gibt, eine gemeinsame Zentralbank und ein Solidarnetz jenseits des Nationalstaats. Gerade in der Krise nehmen wir das Gewicht Europas – das manche bisher störte – nun als etwas Positives wahr.

Bisher erschienen: Hans Peter Haselsteiner (22. 12.); August Schmölzer (24. 12.); Johanna Rachinger (27. 12.); Gerald Karner (29. 12.); Monika Langthaler (30. 12.); Barbara Neubauer (31. 12.); Gerhart Holzinger (2. 1.); Stella Rollig (3.1.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2009)

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