Argentinien: Die Diktatur der Klimaanlagen

(c) AP (Natacha Pisarenko)
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Während Wien bibbert, stöhnt Buenos Aires: Brütende Hitze bringt die Argentinier ins Schwitzen - und das Stromnetz zum Zusammenbruch. Hoffnung bringt da ausgerechnet die Wirtschaftskrise.

Buenos Aires. Zumindest über die Feiertage übten die Wettergötter Nachsicht. Eine Kaltfront ermöglichte den Argentiniern den ungetrübten Verzehr von üppigen Braten, süßem Turrón und „Pan dulce“, dem Germteiggebäck, das wie alle anderen Weihnachtsbräuche von den europäischen Vorfahren in die Pampa exportiert wurde. Mit dem kleinen Unterschied, dass die Argentinier die schweren Schlemmereien im Sommer verdauen müssen – und das nicht selten bei Temperaturen jenseits der 35 Grad.

Inzwischen sind die frischen Festtage vorbei – während Wien bibbert, stöhnt Buenos Aires. Seit Anfang November ist die Stadt ein gigantischer Glutofen, der auch nachts kaum abkühlt. Weil die 14-Millionen-Agglomeration seit einem Jahrhundert ohne Bebauungspläne gewuchert ist, fehlen Grünflächen und Teiche, die als natürliche Wärmetauscher dienen könnten. Deswegen fliehen die Hauptstädter in Horden ans Meer, und wer sich das nicht erlauben kann, der schwitzt.

Gewiss, 36,2 Grad am Dreikönigstag sind kein Rekord, die Sommer waren schon immer unerträglich am Rio de la Plata, der etwa so nah am Äquator liegt wie Nordafrika. Doch nun wollen die Argentinier die Hitze nicht mehr ertragen. Im Vorjahr wurden über eine Million Klimaanlagen verkauft. Wer sich eine leisten kann, hat sich mindestens eine geleistet. Heute konsumieren acht Prozent der Bevölkerung von Buenos Aires 25 Prozent des Stroms. Und: Je heißer die Tage, desto mehr verzehren die „aires acondicionados“.

Am 26. November, bei 36,8 Grad, meldeten die Stromversorger einen historischen Nachfragerekord, der die Netze bersten ließ – in 50.000 Haushalten gingen die Lichter aus. Und Klimaanlagen, Eiskästen, Gefriertruhen. Voll klimatisierte Apartmentblocks in den besseren Vierteln Belgrano, Palermo oder Caballito waren bis zu fünf Tage ohne Strom. Der gehobene Mittelstand schwitzte im Dunkeln. Fischhändler, Gemüseverkäufer und Fleischer mussten ihre Vorräte verschenken, ehe diese in dem Brutofen von allein zu garen begannen, oder zumindest zu gären. Schließlich schnappten sich die Stromlosen wieder einmal ihre Kochtöpfe und gingen lärmend demonstrieren, diesmal vor der Zentrale des Stromversorgers.

Doch den trifft nur ein geringer Teil der Schuld. Die Protestierer sollten lieber in den Vorort Olivos ziehen, in der dortigen Residenz lebt der zum Präsidentinnengatten mutierte vormalige Amtsträger Néstor Kirchner. Der hatte während seiner Regierungszeit (Mai 2003 bis Dezember 2007) trotz Wirtschaftswachstums allen Versorgern verboten, die Tarife anzuheben. Mit der Folge, dass niemand auch nur einen Centavo in den Energiesektor investierte.

Bitte nicht kühler als 24 Grad!

Inzwischen ist der Strom teurer geworden – für alle, die mehr als 325 Kilowattstunden im Monat verbrauchen. Wer zwei Klimaanlagen dauernd blubbern lässt, muss sich auf 400% plus einstellen. Die Energieversorger predigen, die Apparate auf tiefstens 24 Grad einzustellen, bei jedem Grad kühler wüchse der Stromverbrauch exponentiell. Absurderweise ist die Weltwirtschaftskrise in Argentiniens Hochsommer eine gute Nachricht. Weil die Industrie derzeit kaum noch produziert, sinkt deren Stromverbrauch. Das schont die Netze.

Um die schlimmsten Folgen der Krise abzuwenden, verkündete Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner ein Hilfspaket für die Industrie: Mit staatlichen Krediten sollen die Argentinier neue Konsumgüter finanzieren können: Autos, Gasherde, Boiler, Eiskästen. Und neue Klimaanlagen. Die Hitze kann bis März anhalten.

WETTERREKORDE

Die niedrigste Lufttemperatur,die weltweit je gemessen wurde, herrschte in Wostok in der Antarktis: -89,2 Grad wurden dort im Juli 1983 verzeichnet. Die höchste Lufttemperatur gab es mit 57,3 Grad im August 1923 in El-Asisija in Libyen. Der österreichische Hitzerekord liegt bei 39,7 Grad und wurde 1983 in Dellach im Drautal gemessen. Der heimische Kälterekord geht an den Sonnblick: -37,4 Grad am 1.Jänner 1905.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2009)

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