Integration: Assimilieren? Abschotten?

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Über die schwierige Sozialisation jugendlicher Migranten. Der Vormarsch der Rechtspopulisten von FPÖ und BZÖ verschärfe die Situation.

Innsbruck. „Wir, die zweite Generation, hatten es leichter“, sagt Mesut Onay, der als Kind türkischstämmiger Gastarbeiter in Tirol geboren wurde. Denn die „Gastarbeiterkinder“ hatten noch Gemeinsamkeiten. „Unsere Eltern kamen, um hier zu arbeiten.“ Zwar hatten auch Onay und seine Freunde mit Vorurteilen zu kämpfen. Doch: „Das war auch unsere Gemeinsamkeit. Wir bildeten sozusagen unsere eigene Subkultur.“

Die Situation der dritten Generation sei komplizierter. Onay teilt sie in zwei Gruppen ein. Jene, die sich völlig assimilieren, und jene, die sich auf ihre Herkunft zurückbesinnen. Erstere gehen voll und ganz in den gängigen Jugend(sub)kulturen auf. „Es gibt heute türkischstämmige Heavy-Metal-Freaks, die ihre Haare lang tragen.“ Diese Jugendlichen fallen jedoch nicht mehr als Migranten auf und haben auch untereinander so gut wie keinen Kontakt. Ihr soziales Bezugssystem ist die Jugendkultur, der sie angehören. „Sie verstehen sich nur mehr als Tiroler und sind weiter, als wir es waren.“

Anders stelle sich die Situation jener Jugendlichen dar, die sich auf die Herkunft ihrer Eltern und Großeltern zurückbesinnen. Denn diese Gruppe meide den Kontakt zur Mehrheitsbevölkerung und bleibe unter sich. „Die fallen natürlich eher auf.“

Schuld an dieser Entwicklung trägt für Onay einerseits die Aufnahmegesellschaft: „Österreich hat verschlafen, diese Leute aufzunehmen.“ Denn wirklich akzeptiert werde nur, wer sich bedingungslos assimiliert.

Das sieht die Migrationsexpertin Aygül Berivan Aslan ähnlich. Die Telferin ist Vertreterin der dritten Generation. Jener Generation, die Aslan als „Waisenkinder dieser Welt“ bezeichnet. Viele seien gefangen im Spannungsfeld zwischen einer Aufnahmegesellschaft, der sie sich zwar zugehörig fühlen, die sie aber nach wie vor mit Ausgrenzung straft. Sowie einer Herkunftsgesellschaft, die sie, wenn sie sich entfremden, ebenfalls diskriminiert.

Sorge: Heiratsmigration

Der Vormarsch der Rechtspopulisten von FPÖ und BZÖ verschärfe die Situation. „Viele junge Migranten fühlen sich dadurch an die Wand gedrängt. Man geht auf der Straße und weiß, ein Viertel der Leute hier lehnt mich wegen meiner Herkunft ab.“ Manche würden darauf mit Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft reagieren, sagt Aslan.

Doch Aslan und Onay fordern auch von den Migranten mehr Engagement. Onay beobachtet etwa innerhalb der zweiten Generation eine besorgniserregende Entwicklung. „Junge Männer, die hier aufgewachsen sind, holen sich Frauen aus der alten Heimat, die kein Wort Deutsch sprechen.“ Diese Heiratsmigration könne zur Folge haben, dass Kinder der dritten Generation plötzlich wieder in Haushalten aufwachsen, in denen kaum Deutsch gesprochen werde. Die Konfrontation mit der hiesigen Kultur werde eingeschränkt. Für Onay ein Rückschritt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2009)

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