Es gibt in den weltweiten Konflikten auch Bewegungen, die der Gewalt etwas entgegenhalten: Ihre Entschlossenheit, den Feinden nicht mit Waffen, sondern mit Worten zu begegnen.
Zusammen leben, aber wie?“, das ist die kritische Frage für uns alle, in einer Welt, die scheinbar zu klein geworden ist für die Masse und Unübersichtlichkeit der Konflikte. Kämpfe um Territorien, Öl, Gas, Edelsteine werden zunehmend kriegerisch ausgetragen. Die Intermezzi auf den diplomatischen Parketts verdienen nicht mehr die Bezeichnung Friedensverhandlungen, sondern sind Feuerwehreinsätze, die in immer kürzerer Sequenz stattfinden, wenn sich gerade ein Fenster öffnet durch einen mühsam ausgehandelten Waffenstillstand.
In diesem weltweit hochgerüsteten Klima gibt es Versuche von Gegenbewegungen, die der Legitimität von Gewalt auf beiden Seiten der Fronten etwas entgegenhalten: ihre Entschlossenheit, den Feinden nicht mit Waffen, sondern Worten zu begegnen, ihnen zuzuhören, mit ihnen zu verhandeln, ihre grenzenlose, oft tödliche Wut zu begreifen und die eigene Verzweiflung zu vermitteln.
Robi Damelin lebt in Tel Aviv, aber ihre Gedanken und Gefühle sind auch bei den Müttern und jungen Menschen auf der palästinensischen Seite. Sie hat ihren Sohn David bei einem Anschlag auf einen Checkpoint verloren, als er als Reservist einberufen wurde. Eigentlich wollte er nicht in den besetzten Gebieten dienen, aber er und seine Mutter kamen zu dem Schluss, dass es besser wäre, den jungen Soldaten zu zeigen, dass man Palästinenser respektvoll behandeln kann, und so ein Zeichen zu setzen.
Robi würde heute alles tun, um David wiederzusehen: „Aber ich musste einsehen, dass das nicht möglich war. Und so war ich einfach gezwungen, einen Weg finden, um andere davor zu bewahren, dass sie denselben unendlichen Schmerz durchleben müssen.“
Frauen als Stimme der Zivilgesellschaft
Der Test für Robis Versöhnungsarbeit mit palästinensischen Familien kam in dem Moment, als sie hörte, dass der Heckenschütze, der David und neun seiner Kollegen tötete, im Gefängnis saß. Sie schickte an ihn und seine Familie einen Brief. Sie weiß, dass sie vielleicht nie eine Antwort bekommen wird. Sie schrieb ihm sinngemäß: „Ich weiß, dass du nicht David getötet hast, sondern David als Symbol für die Besatzer.“ Sie ist überzeugt: „Wenn er irgendwann imstande ist, mir einen Brief zu schreiben, in dem er sagt, dass er falsch gehandelt hat, könnte er unendlich viele Menschen, die ihn heute als Helden feiern, beeinflussen, denn er und seine Freunde müssen einsehen, dass Töten nicht zu einem freien und unabhängigen palästinensischen Staat führen wird.“
Diese Ereignisse liegen sechs Jahre zurück, aber die Jahreszahl spielt keine Rolle. Heute ist der Gazastreifen ein Killing Field, die Hoffnungslosigkeit ist größer als je zuvor.
Eine Gruppe von Frauen aus aller Welt ist am Jahresende in Wien zusammengekommen, um die weltweit erste weibliche Terrorplattform zu gründen, SAVE – Sisters Against Violent Extremism. Sie setzen ganz bewusst auf Frauen, weil sie strategisch positioniert sind, am Puls der Familien, wo sie als Erste Resignation und Wut bei ihren Kindern und der kritischen Gruppe der Heranwachsenden orten. Sie könnten der zentrale Ansatzpunkt eines Frühwarnsystems sein.
Die SAVE-Frauen sind Stimmen der Zivilgesellschaft, die statt Rache und Kollektivverurteilung versuchen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit gegen ein Klima der Angst und Paranoia zu stärken. Das sind langfristige Prozesse, sicher, aber es gibt keine Abkürzungen. Das feine Gewebe der Zivilisation ist immer wieder an vielen Stellen brüchig, aber wenn wir es nicht pflegen und instand halten, zerfällt alles, was wir haben.
Das weiß auch Najwa Saadeh, die Robi Damelin im Parents Circle kennengelernt hat, eine Organisation, die israelische und palästinensische Eltern zusammenbringt, die Angehörige bei Anschlägen verloren haben. Najwas 12-jährige Tochter Christine starb, als die israelische Armee das Auto, in dem die Familie fuhr, beschoss. Najwa und Robi setzen sich gemeinsam mit vielen anderen für Frieden und Versöhnung ein und stehen für Hoffnung in diesem langjährigen Konflikt.
Hadiyah, eine junge Engländerin, kann selbst nicht glauben, dass sie sich heute mit Friedensaktivistinnen engagiert. Noch vor wenigen Jahren war sie Teil einer anderen Bewegung, der Hizb-ut Tahrir, die weltweit das Kalifat errichten will. Sie schaffte den Absprung. Im Schatten des Gazakrieges ruft sie ihre muslimischen Mitbürgerinnen auf, sich gegen Terror und Zerstörung auszusprechen. „Als Islamistin war ich davon überzeugt, dass nur MuslimInnen von den Vorgängen in Palästina, Irak und Afghanistan berührt waren. Heute weiß ich es besser, das ist keine Frage des Glaubens. Es ist jetzt Zeit, sich an die Islamisten zu wenden und ihnen zu zeigen, dass sie nicht die Emotionen der Jugend ausbeuten müssen und ihre Wut noch mehr anfeuern, denn die Menschheit ist bereit, sich entschieden gegen den Terror zu stellen.“
„Besser streiten, als am Grab weinen“
Shaista Gohir aus Birmingham schickte als Vertreterin des UK Muslim Women's Network einen Brief an den englischen Premier Brown. Sie und eine Gruppe führender muslimischer Vertreterinnen warnen davor, dass bei einer weiteren Eskalation der Gazakrise der Terrorismus global ein Revival erleben wird. Sie verweist auf die UN-Resolution 1325, die sich mit den schrecklichen Auswirkungen von bewaffneten Konflikten und Kriegen auf Frauen auseinandersetzt und die Inkludierung von Frauen in Sicherheits- und Friedensverhandlungen fordert. Wie viele UN-Aktivitäten ist die Resolution 1325 offensichtlich auch nur ein wertloses Stück Papier.
Nicht wohlmeinende Resolutionen sind gefragt, sondern Mut und Offenheit, mit den Feinden zu sprechen. Eine irische Friedensaktivistin hat es auf den Punkt gebracht: „Es ist besser, gemeinsam um den Tisch zu sitzen und zu reden und zu streiten, als am offenen Grab zu stehen und zu weinen.“
Dr. Edit Schlaffer ist Sozialwissenschaftlerin, Gründerin von Frauen ohne Grenzen (www.frauen-ohne-grenzen.org) und Initiatorin von SAVE.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2009)