Gasstreit nach elf Tagen beigelegt

Vladimir Putin und Yulia Tymoshenko
Vladimir Putin und Yulia Tymoshenko(c) AP (Ivan Sekretarev)
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Ab 1. Jänner 2010 werde die Ukraine den Gastransit nach europäischen Standards verrechnen, aber auch den in Europa üblichen Marktpreis bezahlen. Europa traut dem neuen Frieden nicht.

Moskau. Julia Timoschenko trug Schwarz. Das langärmelige Kleid, das den blassen Teint der ukrainischen Ministerpräsidentin kontrastierte, hätte für einen Ball genauso gepasst wie für eine Beerdigung. Der Blick eher für Letztere. Aber auch ihr russischer Amtskollege Wladimir Putin wirkte höchstens um eine Spur aufgeräumter. Schließlich war der zehnstündige Verhandlungsmarathon „sehr schwer“, wie Timoschenko einsilbig erklärte. Und schließlich war es in Moskau schon weit nach Mitternacht, als beide im Gleichschritt vor die Presse traten und die Lösung des leidigen Gaskonflikts bekannt gaben.

Man habe eine Einigung erzielt, die nun von den beiden nationalen Gasgesellschaften Naftogaz Ukrainy und Gazprom bis Montag in die vertragliche Form gegossen und unterzeichnet werde, sagte Timoschenko: „Sofort nach der Unterzeichnung dieser Dokumente werden alle Gaslieferungen nach Europa wieder aufgenommen.“ Putin bestätigte die Zusage der Ukraine und erklärte den Inhalt der Einigung: Ab 1. Jänner 2010 werde die Ukraine den Gastransit nach europäischen Standards verrechnen, aber auch den in Europa üblichen Marktpreis für russisches Gas zahlen; nur 2009 werde noch ein Rabatt von 20 Prozent gewährt, sofern die Ukraine nicht am geltenden Transittarif rüttle, sagte Putin. Timoschenko nickte.

Erhöhter Druck aus Europa

Elf Tage, nachdem der bilaterale Gasstreit zum Ausfall der Lieferungen in 18 europäische Staaten geführt hat, scheint damit der Gasfluss wieder gesichert. Die Reaktion der Europäischen Kommission blieb am Sonntag dennoch zurückhaltend. Die Einigung sei zu begrüßen, hieß es. Aber man sei nicht zum ersten Mal in seinen Hoffnungen getäuscht worden. Daher müsse man abwarten, ob am Montag tatsächlich geliefert werde. In jedem Fall müsse Europa Konsequenzen aus dem ganzen Streit ziehen, meinte EU-Industriekommissar Günter Verheugen.

Zuletzt waren Russlands Versuche, die Lieferungen wenigstens zum Teil wieder aufzunehmen, wiederholt gescheitert. Während sich beide Seiten gegenseitig beschuldigten, froren in den Abnehmerländern Hunderttausende Menschen. Firmen mussten vorübergehend den Betrieb einstellen, Schulen wurden geschlossen.

Schließlich drohte eine entnervte EU, die Beziehungen zu den beiden Konfliktparteien zu revidieren, sollte beim Treffen in Moskau keine endgültige Lösung gefunden werden. Dass eine solche bevorstand, hatte sich indes an Moskaus gesteigerter Aktivität in den letzten Tagen ablesen lassen. Putin eilte am Freitag zu einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel nach Deutschland und brachte die Idee ins Spiel, dass ein Konsortium der großen europäischen Gasimporteure gemeinsam mit Gazprom künftig die täglich 21 Mio. Kubikmeter sogenannten „technischen Gases“ bezahlen solle, das für den Betrieb der Kompressoren in den Transitnetzen nötig ist und von der Ukraine nicht bezahlt wird. Die Importeure reagierten positiv.

Der wahre Chef heißt Putin

Derweil liefen in Moskau die Vorbereitungen für eine internationale Gaskonferenz mit europäischen Abnehmern am Samstag. Schon bald war klar, dass die von Präsident Dmitrij Medwedjew geleitete Konferenz selbst keinerlei Ergebnis zeitigte und de facto zum Hintergrund für den Zweiergipfel zwischen Timoschenko und Putin degradiert war. Sie sei die einzige Verhandlerin in Gasfragen mit Moskau, erklärte Timoschenko noch vor ihrem Abflug nach Moskau.

Dortselbst wurde einmal mehr offensichtlich, dass Putin das Sagen in den entscheidenden Fragen des Landes hat. Und da Putin auf den deklarierten Nato- und US-Freund Juschtschenko schlechter denn je zu sprechen ist, war klar, dass eine Einigung auch im Gasstreit nur mit Timoschenko möglich ist.

Diese kann sich mit einer Einigung vor ihren Landsleuten schmücken, die Ukraine aber muss Federn lassen. Noch im Oktober nämlich war man mit Moskau übereingekommen, im Laufe dreier Jahre auf europäische Marktpreise, die sich am Ölpreis orientieren, überzugehen. Nun sind sie nächstes Jahr fällig. Europa zahlte zuletzt im Schnitt an die 450 Dollar je 1000 Kubikmeter, inklusive etwa 50 Dollar Transportgebühren, die für die Ukraine in jedem Fall wegfallen. Die Ukraine, die im letzten Jahr 179,5 Dollar zahlte, war bis vor zwei Tagen gerade einmal bereit, 235 Dollar zu berappen. Timoschenko ist Realistin genug. Und kleidete sich am Samstag in weiser Voraussicht schwarz.

AUF EINEN BLICK

Der seit Tagen tobende Gasstreit zwischen Moskau und der Ukraine endete mit einer Niederlage für Kiew. Bereits ab 2010 muss die Ukraine „europäische Preise“ für russisches Gas bezahlen. In Europa wurde die Einigung der beiden Konfliktparteien zurückhaltend kommentiert. Die 18 betroffenen Staaten wollten abwarten, ob am Montag das Gas auch tatsächlich fließt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2009)

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