Es ist vollbracht: Gasvertrag unterschrieben

(c) AP (John McConnico)
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„In Kürze“ soll wieder Erdgas nach Europa fließen. Doch der Ukraine droht der Staatsbankrott.

Kiew. Eine Zitterpartie bis zum Schluss blieb der Gasstreit zwischen der Ukraine und Moskau – auch nach der Einigung, die die beiden Premierminister Julia Timoschenko und Wladimir Putin am Sonntag in Moskau erzielt hatten. Der mit Timoschenko verfeindete Präsident Viktor Juschtschenko versuchte gestern wie befürchtet, die Unterschrift der ukrainischen Naftogaz zu verhindern.

Doch am Nachmittag kam die Entwarnung: In einer im russischen Staatsfernsehen live übertragenen Zeremonie unterzeichneten alle Beteiligten den Vertrag. Schon in Kürze soll wieder Gas in die EU fließen, eine Anweisung an Gazprom sei erfolgt. Nicht genug der guten Nachrichten: „In den kommenden Jahren gibt es keinen Streit mehr“, versprach Timoschenko feierlich. Denn der Vertrag gilt für zehn Jahre. Heuer erhält die Ukraine noch einen Rabatt von 20 Prozent, schon 2010 wird auf Marktpreise umgestellt. Die ominösen Zwischenhändler werden ausgeschaltet.

Journalisten und Analysten grübeln, rechnen und spekulieren, welche Auswirkungen diese Einigung haben wird. Die Nervosität hat einen guten Grund: Der Gaspreis ist ein wesentlicher Baustein für das Wohl und Wehe der ukrainischen Volkswirtschaft. Und um die steht es denkbar schlecht.

Wirtschaft sinkt um fünf Prozent

Alle Zeichen des Marktes stehen auf Staatsbankrott. Indikator dafür sind die Renditen auf Staatsanleihen. Je höher sie sind, desto höher wird auch das Risiko eines Ausfalls eingeschätzt. Der Unterschied zu den als sicher angesehenen US-Staatsanleihen beträgt schon 25 Prozentpunkte. Das ist mehr als in jedem anderen Land mit Anleihen auf Dollar-Basis – ausgenommen Ecuador, das im Dezember seine Zahlungsunfähigkeit erklärt hat.

Ein Blick auf die Wirtschaftsdaten erklärt die Ängste der Investoren. Noch im Oktober waren die Ukraine-Prognosen im Schnitt von einem Wirtschaftswachstum von vier Prozent für 2009 ausgegangen. Doch der genaue Blick des Internationalen Währungsfonds, der einen Notfallkredit gewähren musste,enthüllte ein weit düstereres Bild. Heute geht selbst die Regierung von einer starken Rezession aus: Um fünf Prozent werde die Wirtschaft heuer schrumpfen.

„Das hat es noch nie gegeben, dass die Ökonomen ihre Prognosen innerhalb von drei Monaten um neun Prozentpunkte nach unten revidieren mussten“, staunt Simon Commander von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD).

Wie kam es zu einem so dramatischen Einbruch? Die internationale Nachfrage für den wichtigsten Exportartikel Stahl ist eingebrochen, und damit auch der Preis – um 56 Prozent seit August. Die Stahlkonzerne stellen auf Kurzarbeit um. Die Börse brach um 85 Prozent ein. Parallel dazu gehe die private Nachfrage rapide zurück und Kredite würden knapp, erklärt Martin Blum, CEE-Chefökonom bei der UniCredit (BA) in Wien.

Auch die Entwicklung auf dem Geldmarkt macht wenig Mut. Die Inflation ist mit 22 Prozent die höchste in Europa. Die Bevölkerung flüchtet in den Dollar, weil die Landeswährung Griwna zum Greenback auf Jahressicht um 40 Prozent eingebrochen ist. Im Gegensatz zum rohstoffreichen Russland kann die Ukraine auch nicht im großen Stil Devisenreserven einsetzen, um sich gegen den Währungsverfall zu stemmen.

Über den Tisch gezogen?

Nun gesellt sich zur Misere auch noch die Hypothek eines steigenden Gaspreises. Denn fest steht: Man war in den Verhandlungen schon weiter, und die Ukraine hätte wohl besser vor der Eskalation des Konflikts unterschreiben sollen. Dass sie die europäischen Marktpreise schon um ein Jahr früher zahlt als noch im Herbst vereinbart, gilt als Belastung für das angeschlagene Land. Die Ukraine zahlte im Vorjahr 179,50 Dollar pro 1000 Kubikmeter, Europa zuletzt 450 Dollar. Im ersten Quartal sind mit dem Rabatt von 20 Prozent also 360 Dollar fällig. „Der Preis ist viel zu hoch. Es ist unverständlich, warum die Ukraine zugestimmt hat“, meint Michail Kortschemkin von East European Gas Analysis.

Ist Timoschenko in Moskau also vor dem übermächtigen Gegner in die Knie gegangen? Nicht unbedingt, meint Ökonom Blum. Sie dürfte nämlich auf den stark sinkenden Weltmarktpreis von Erdgas spekuliert haben. An ihn ist künftig auch die Ukraine gebunden. Das Land könne daher jetzt seine Lager leeren und erst im Sommer, wenn der Preis wie erwartet gefallen ist, wieder bei Gazprom einkaufen. Auch Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew vermutet dieses Kalkül.

Die Gefahr eines Staatsbankrotts sieht Analyst Blum nicht ganz so drohend, wie es der Anleihenmarkt suggeriert. Immerhin gebe es noch kein großes Problem mit Staatsschulden. Aber die Regierung müsse rasch handeln – jedenfalls rascher als im Gasstreit, der die Geduld der Europäer aufs Äußerste strapaziert hat.

Der gasvertrag

Ab 2010 wird die Ukraine an die russische Gazprom Marktpreise für Erdgas zahlen müssen. Heuer erhält sie noch einen Rabatt von 20 Prozent. Die umstrittenen Zwischenhändler werden ausgeschaltet. Der Vertrag ist auf zehn Jahre angelegt.

Ab sofort soll wieder Gas nach Europa fließen. Unmittelbar nach der Vertragsunterzeichnung erhielt Gazprom eine entsprechende Anweisung von oben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2009)

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