Die inszenierte Selbstdemütigung im TV

In den letzten Jahren geht die Evolution des Fernsehens immer mehr in die Richtung der Vergröberung, der Vulgarisierung und der schrillen Effekte.

Über die Extreme kann man sich leicht verständigen: So donnert der Schriftsteller Franzobel effektvoll gegen den „Voyeurismus“ des Publikums, das sich an Ameisen und Maden essenden Halbprominenten begeilt – übrigens in jener Zeitung, die besagten Voyeurismus am kompromisslosesten bedient. Mit denen, die den Wettbewerb im Dschungelcamp sehen, verhalte es sich ähnlich wie mit den Leuten, die KPÖ oder BZÖ wählen, meinte Franzobel in „Österreich“ vom 11.Jänner unter einem Foto eines Kängurupenis schlürfenden Transsexuellen und sinniert über die „taffe“ Mausi Lugner und die „unglaubliche Sehnsucht mancher Prominenter nach Öffentlichkeit“.

Es geht aber nicht um diese Extreme, oder jedenfalls nicht nur. Überlegen wir einmal, wie es in der Sendung mit dem „Kaiser“ zugeht, einem Quotenflaggschiff des ORF. Der nicht sehr groß gewachsene Mann in der weißen Uniform mit rotweißroter Schärpe gilt als vergleichsweise „politisch korrekt“, ja beinahe als „Linker“, die ihm gewidmete Hymne zeigt sogar Anklänge an die „Internationale“, und seine Darstellung eines anmaßenden, inkompetenten Monarchen kann auch als kritische Satire interpretiert werden. Dennoch sind die Audienzen „Robert Heinrichs I.“ mit den übleren Beispielen des Genres Realityshow näher verwandt, als seine Fans wohl wahrhaben wollen.

Am Anfang stand die Talkshow

Mit ausgefeilten Produktionen dem Theater oder Spielfilm nachzueifern, also Traumfabrik am Kleinbildschirm zu spielen, ist eine extrem aufwendige Sache. Reale Menschen in möglichst unterhaltender Art zur Programmgestaltung heranzuziehen hat deshalb für Fernsehsender viel für sich, und dies umso eher, je mehr sie auf die Kosten zu achten haben. Talkshows vom Typus der „Tonight“-Show mit dem eleganten Johnny Carson, Quizsendungen à la Hans Joachim Kulenkampff und Diskussionsrunden nach Art des legendären „Club2“ vermochten nicht nur das Publikum zu fesseln, sie waren auch in der Produktion erheblich billiger als selbst produzierte Krimiserien oder Liebesfilme. Betrachtet man die Entwicklung der letzten Jahrzehnte, stellt man allerdings fest, in welche Richtung die Evolution dieser Sendungstypen gegangen ist: in jene der Vergröberung, der Vulgarisierung und der schrillen Effekte. Zum Teil mag das einfach daran liegen, dass bestimmte Sendungen, die am meisten Aufmerksamkeit erregten, hier quasi Vorbildwirkung erzielten. Dass Nina Hagens Erläuterungen ihrer Masturbationspraktiken einen „Club2“ „legendär“ machten, ging an den smarten TV-Verantwortlichen wohl nicht vorüber und ebenso wenig die „Sensation“, als in einer Quizsendung („Wünsch Dir was“) beinahe ein tragischer Unfall passierte. Die Tendenz zur Verstärkung der Effekte, zur Vergröberung der Witze und zur kompensatorischen Verstärkung des Drucks auf die Tränendrüsen war wohl vorgegeben. Dabei war es natürlich die kommerzielle amerikanische Senderlandschaft, die mit der Inszenierung des Exzesses voranging.

Reality-TV kann ziemlich unproblematisch und sogar auf unterhaltsame Art belehrend wirken, etwa wo Unternehmensberater ungeschickten Gastwirten Tipps geben, wie sie ihr Lokal besser ins Geschäft bringen, oder wo Menschen mit ungewöhnlichen Berufen und Lebensschicksalen zum Erzählen gebracht werden. Weitaus problematischer ist schon die Partnersuche via TV, vor allem, wenn sie redaktionell zu einer impliziten Verhöhnung der porträtierten „kleinen Leute“ tendiert. Unerfreulich ist auch die Technik, das, was man früher Bassenastreitigkeiten nannte, vor der Kamera zu inszenieren („Meine Mutter hat meinen Freund verführt etc.“). Mit den voyeuristischen Eliminationsshows vom Typus „Taxi Orange“ und Castingshows à la „Deutschland sucht den Superstar“ wurde ein Weg beschritten, der die bewusste Demütigung der ambitiösen Laiendarsteller oder jedenfalls ihrer Mehrzahl geradezu zum Prinzip erhebt. In ihnen ist das neoliberale Prinzip „Jeder gegen jeden“, die Brüchigkeit jeder Kooperation und Solidarität in die Grundkonzeption eingebaut.

In einem seiner Gedichte mahnt uns Erich Kästner, nie so weit zu gehen, den Kakao, durch den man uns zieht, auch noch zu trinken. Genau dies ist aber das Grundprinzip aller Eliminationsshows. Man tritt zu einer Art Prüfung an und unterwirft sich dem Urteil einer Jury und/oder des Publikums – und diejenigen, die das Los, ausgeschieden zu werden, trifft, haben heuchlerisch gute Miene zum bösen Spiel zu machen, oder sie werden sogar noch in ihrem ohnmächtigen Zorn voyeuristisch ausgebeutet.

Witzig gemeinte Impertinenzen

Genau dieses, die inszenierte Zustimmung zur eigenen Demütigung, ist aber auch das Grundprinzip der Kaisershow. Ein kleiner Kabarettist wird von Leuten, die es nicht nötig haben sollten, als „Majestät“ angesprochen und adressiert sie selbst von oben herab mit „er“ oder „sie“. Wenn sie aufmucken, droht er raunend, sie vierteilen zu lassen, und am Ende des Gesprächs wirft er sie meist mehr oder weniger grob hinaus. Das Publikum aber erhebt sich und jubelt auf Kommando, schwenkt Taschentücher – und die zur „Audienz“ Eingeladenen hören sich mit verlegenem Lächeln die witzig gemeinten Impertinenzen an, die ihnen zuteil werden. Da ist keiner, der sagt: „Lieber Robert Heinrich, ich bin eigentlich nur gekommen, um Ihnen zu sagen, ich bin überzeugter Republikaner – von mir aus können Sie sich einen anderen Job suchen.“ Genau das wäre freilich dem begabten Robert Palfrader und seinem Team zu wünschen. Und jene Leute, die sich in den großen Saal der Industriellenvereinigung setzen, um einem halblustigen Demütigungsspektakel beizuwohnen, sollten sich überlegen, ob es nicht bessere Formen der Freizeitgestaltung gäbe als die Teilnahme an einer nur viertelironischen Inszenierung menschenverachtenden Dünkels.

Dr. Robert Schediwy, geb. 1947, ist Privatdozent für Sozialwirtschaft an der Uni Kuopio, Finnland, und Kulturpublizist, Mitglied von ICOMOS.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2009)

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