Starmania: Diese Stars holt keiner heraus

ORF-Sendung Starmania
ORF-Sendung Starmania (c) ORF (Ali Schafler)
  • Drucken

"Starmania" geht wieder einmal in ein (vorläufiges) Semi-Finale. Warum produziert eine solche Castingshow so selten echte Stars? Weil sie Anti-Pop ist. Weil sie streberhaft die "Leistung" verherrlicht.

Miley Stewart, die Tochter des Ex-Countrysängers Robby Ray Stewart, ist nur scheinbar ein gewöhnlicher Teenager: Mithilfe einer blonden Perücke verwandelt sie sich abends in den Popstar Hannah Montana.

Von diesem (fiktiven) Doppelleben handelt seit 2006 die TV-Serie „Hannah Montana“, vermarktet vom Disney-Konzern. Die Darstellerin von Miley/Hannah heißt Miley Cyrus, getauft auf Destiny Hope Cyrus, sie ist die Tochter des Countrysängers Billy Ray Cyrus, dem zu Ehren sie den zweiten Vornamen Ray annahm.

Wir fassen zusammen: Miley spielt Miley, die Hannah spielt, und alle sind sie im Grunde brave Mädchen. Ein subtiles Verwirrspiel, kompliziert durch diverse Verwandte. So sorgte ein Satz auf dem Cover der zweiten Miley/Hannah-CD für Verwirrung: „About two years ago, my Pappy passed away.“ Wer ist gestorben? Der real existierende Billy Ray Cyrus nicht, auch die Fernsehfigur Robby Ray Stewart nicht, den sieht man ja im Fernsehen. Mit „Pappy“ war der Großvater gemeint, hieß es dann, und zwar offenbar der Großvater der ganz echt existierenden Miley Cyrus.

Elvis spielte (nicht) Elvis

Typische postmoderne Zerfransung des Ego? Auflösung der Person in Zeiten der Ich-AG? Nicht wirklich. Der Star als Darsteller eines Stars ist eines der ältesten Motive des Pop. Elvis Presley spielte in seinen Filmen nie Elvis, sondern Clint Reno, Vince Everett, Danny Fisher, ... – die aber alle durchaus Charakterzüge Elvis Presleys aufwiesen.

Die Beatles stellten sich in „A Hard Day's Night“ zwar selbst dar, doch der Film ist keine Dokumentation, und Paul McCartneys widerborstiger Opa im Film ist nicht Paul McCartneys Großvater im Leben. Und Bob Dylan erst: Abgesehen davon, dass er selbstverständlich eine Erfindung des Robert Zimmerman ist (und alles nur erfunden hat, um Woody Guthrie zu beeindrucken), spielt er z.B. in seinem Film „Renaldo and Clara“ eine Figur namens Renaldo, während er selbst von Ronnie Hawkins verkörpert wird. Todd Haynes hat diese Zersplitterung – „Fraktalisierung“ hätte man in den Neunzigern gesagt – eines Künstler-Ego in seinem Film „I'm Not There“ exemplarisch gefasst: Sechs Schauspieler spielen je eine Facette Bob Dylans, aber dessen Name fällt nie, er ist (als Ganzer) nicht da. Unnahbar.

„So you want to be a rock 'n' roll star?“, fragten die Byrds einst – und antworteten bitter: „Sell your soul to the companies, who are waiting there to sell plastic ware.“ Sie hatten – treuherzige Hippies, die sie waren – die schlaue Doppelstrategie des Pop nicht verstanden. Die läuft so: Man wird nicht zu einem Star (gemacht). Man spielt einen Star und verwandelt sich dabei in einen Star. Man verkauft seine Seele, behält sie aber trotzdem, Mephisto Musikindustrie verzichtet (mit Vorteil) aufs Blut. Man ist unangreifbar, weil man die Authentizität selbst zum Motiv macht: Jedes Bekenntnis ist vorläufig, Teil des Spiels. Und wenn die fünf Jahre Pakt vorbei sind, wie in David Bowies Märchen von Ziggy Stardust, dann bleiben immer noch die Jubelchöre: „You're wonderful!“ Selbst der „Rock 'n' Roll Suicide“ ist noch glamourös.

Das – mitunter kokette, mitunter nachdenkliche – Spiel mit diesem Seelengeschäft, dieser Verwandlung ist integraler Teil des Star-Seins. Der Popstar müsse „diese Verwandlung inszenieren oder sich in Inszenierungen bewegen, die seine strukturelle und funktionale Verwendung erkennbar machen und bezeugen“, sagt es Diedrich Diederichsen in seinem Buch mit dem genialen Titel „Eigenblutdoping“ etwas komplizierter.

Erkennbar machen: Genau das tun die Castingshows à la „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Starmania“ nicht. Denn das naiv-realistische Rezept, das sie predigen, ist nicht nur unsympathisch, sondern auch erfolglos. Verknappt lautet es so: Kunst kommt von Können. Man muss sich nur bemühen, brav üben, dann wird das schon. Ohne Fleiß kein Preis. „Vollgas geben.“ Arbeiten. Die Töne richtig treffen, lächeln, maßvoll schwitzen, sich richtig bewegen.

„Die Bewegungen müssen sitzen“, hieß es einmal in „Starmania“. Sie dürfe nicht so still dastehen, müsse lernen, sich zur Musik ordentlich zu bewegen, sagte „Juror“ Roman Gregory, ein gewesener Metal-Sänger mit brav eintrainierten Schmähs, sinngemäß zu Sarah Lee, der einzigen Kandidatin der aktuellen „Starmania“-Staffel, bei der man irgendwie das Gefühl hatte, dass sie sich nicht willenlos abrichten lassen wolle. Sie ist längst ausgeschieden, man hat ihre Tränen im Fernsehen gesehen. Echt!

„Ein geschlossener Zuchtteich“

Übrig sind vier Kandidaten, der liebe Oliver, die unscheinbare Silvia, der Hutträger Andreas, die selbstbewusste Maria. „Am Freitag, dem 23. Jänner 2009, wird sich um 20.15 Uhr live in ORF1 zeigen, welche drei diese letzte Hürde nehmen und sich ins Finale singen“, heißt es in der ORF-Aussendung, und: „Wobei die Anforderungen diesmal besonders groß sind, müssen die ,Starmaniacs‘ doch erstmals jeweils zwei Solonummern performen.“

Sie müssen. Es schaffen. Die Anforderungen, die letzte Hürde: Wer sie bewältigt hat, darf sich „Star“ nennen, sich aber noch lange nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen: „Für mich zählt, wie groß die Chancen auf dem freien Markt für einen Kandidaten sind“, sagte Zuchtmeister Roman Gregory der „Kleinen Zeitung“: „,Starmania‘ ist ein geschlossener Zuchtteich, aber ab Februar ist die geschützte Werkstätte vorbei. Ich fordere von den Starmaniacs also gewisse Parameter für Massentauglichkeit.“

So ist die angebliche Pop-Castingshow zur Antithese zum großartigen Versprechen des Pop geworden, das der alte Nik Cohn (als er noch nicht vom Gangsta-Rap schwärmte) einst so formulierte: „Du wirst nicht mehr nur eine Person sein, nicht mehr ein langsames und langweiliges Wesen sein wie alle anderen, sondern du wirst irgendwie großartig sein. Über Nacht hast du dich in eine Art Heros verwandelt.“

Nein, sagt „Starmania“: Du musst weiter Überstunden machen. Du musst die Leistung bringen. Massentauglich bleiben. Du musst am Markt bleiben. Okay, du bist ein Star. Aber du kannst noch so laut schreien: Hier holt dich keiner heraus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.