Gastkommentar Ednan Aslan: „Scheitert Österreich, scheitert Europa“

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Die Islamische Glaubensgemeinschaft und die Zukunft der Muslime hierzulande – ein Plädoyer für die Verinnerlichung der demokratischen Werte und der dafür notwendigen Ansätze im Religionsunterricht.

Durch die Herausforderungen der modernen Gesellschaft stehen die Muslime vor Aufgaben, die sie aus ihrer Geschichte und Kultur heraus nicht kennen. In einem völlig neuen Kontext versuchen sie, sich zu positionieren, daran zu partizipieren. Am Beispiel Österreichs stellen wir fest, dass der Staat zur Gestaltung dieses Prozesses Rahmenbedingungen schaffen kann, unter denen sich die Muslime in ihrer neuen Gesellschaft selbst definieren und ihre eigenen Traditionen in einem neuen Kontext kritisch und bewusst reflektieren können. Diese Aufgabe impliziert intensive theologische und kulturelle Auseinandersetzungen. In diesem Zusammenhang geht es vor allem darum, wie das Leben in der neuen Heimat und die Ablösung von nicht mehr hilfreichen und dem gesellschaftlichen Fortschritt dienenden Traditionen zu bewältigen sind.

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) hat dabei die wichtige Aufgabe, zur Beheimatung der Muslime in einer demokratischen Gesellschaft beizutragen. Es wurde jedoch gleich nach der Gründung der Glaubensgemeinschaft im Mai 1979 offenbar, dass die Muslime mit der Institutionalisierung des Islam im europäischen Kontext überfordert waren. Die Streitigkeiten der Muslime beschäftigten nicht selten die höchsten österreichischen Gerichte. Der innerislamische Diskurs zur Stellung der Glaubensgemeinschaft im Gemeindeleben der Muslime dauert immer noch an.

Zutrauen und Zuversicht lernen

Islamischer Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen ist eine gute Gelegenheit für heranwachsende Muslime, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen zu erwerben, die es ihnen ermöglichen, der Gesellschaft mit Zuversicht, Zutrauen und Gewissheit zu begegnen, die den sozialen Frieden fördern. Darüber hinaus kann er einen Beitrag zur Klärung der Widersprüche zwischen Glaube und Gesellschaft leisten und zur theologischen Betrachtung demokratischer Werte motivieren.

Islamischer Religionsunterricht (IRU) ist nämlich die erste Begegnung der muslimischen Kinder mit ihrer Religion in einer pluralistischen Schule. Er bietet eine wichtige Voraussetzung in ihrem Integrationsprozess, sich an ihrem neuen Lernort heimisch zu fühlen und mit dieser neuen Heimat identifiziert zu verwachsen. Ohne das Gefühl einer inneren Verbundenheit kann man der äußeren Heimat nicht wirklich dienlich sein.

Seit mehr als 25 Jahren wird dieser Unterricht an öffentlichen Schulen erteilt. Wir verfügen aber über keinerlei Studien, ob er dem Anspruch gerecht wird. Nach Bekanntwerden einer neuen Studie von Mouhanad Khorchide werden jedoch die Kompetenzen der muslimischen Lehrer infrage gestellt, ob sie denn wirklich in der Lage wären, die Werte zu vermitteln, die für das Leben in einer demokratischen Gesellschaft von Bedeutung sind, ob die Lehrer den Widerspruch zwischen Islam und Demokratie hervorheben und die Isolation der Muslime mit theologischen Begründungen fördern. Es ist dringend notwendig, sich mit den Ergebnissen dieser Studie auseinanderzusetzen. Es wäre fatal damit anzufangen, die Wissenschaftlichkeit dieser Arbeit ohne eigene, wissenschaftlich fundierte Studien infrage zu stellen, um eigene Versäumnisse zu vertuschen. Diese Studie ist eine Chance, den Ertrag des bisherigen Religionsunterrichts zu überprüfen und eigene Leistungen kritisch zu hinterfragen.

Mit seiner Stellungnahme (u. a. in der „Presse“ am 31. Jänner) stellt Stefan Hopmann vom Institut für Bildungswissenschaft nicht die Qualität dieser Arbeit infrage, sondern den Gebrauch dieser Studie. Khorchide war auch nach seiner ersten Studie von 2006 zur Gewaltbereitschaft muslimischer Jugendlicher ein gesuchter und geschätzter Wissenschaftler für die IGGiÖ, weil nämlich die Ergebnisse der damaligen Studie ihren Erwartungen entsprachen.

Mehr als achtzig LehrerInnen haben bisher die Schule für Islamische Religionspädagogik (IRPA) abgeschlossen, aus unterschiedlichen Gründen werden nicht alle beschäftigt. Die Mehrheit dieser Lehrer arbeitet in Wien, mehr als 300 kommen aus anderen Berufen. An den höheren Schulen ist kaum ein Lehrkörper, der in Österreich für dieses Fach ausgebildet wurde. Mit den ersten Absolventen der islamischen Religionspädagogik der Universität Wien, der Ausbildung der Lehrer für höhere Schulen, ist erst im kommenden Semester zu rechnen.

Nötige Maßnahmen zur Kontrolle

Hier besteht großer Bedarf an Maßnahmen, die die Arbeit dieser Kollegen kontrollierbar machen. Wenn die Aufsichtspflicht in erster Linie Fachinspektoren der IGGiÖ obliegt, fällt den Schuldirektoren eine wichtige Aufgabe zu, die Religionslehrer in den Schulalltag zu integrieren und sie daran zu erinnern, dass der IRU als Pflichtgegenstand öffentlicher Schulen einen Bildungsauftrag zu erfüllen hat. Landesschulinspektor Wolfgang Gröpel setzte dazu wegweisende Akzente. Aus der Praxis weiß ich, dass bisher nicht wenige Schuldirektoren nicht einmal den Namen der Religionslehrer wussten.

Unabhängig von dieser Studie sollte die Frage berechtigt sein, ob die theologische Lehre der Bildungseinrichtungen der IGGiÖ antidemokratische Einstellungen fördern könnte. Veröffentlichte Skripten bestimmter Dozenten scheinen den Ergebnissen Khorchides zu entsprechen. In so einem Skriptum der IRPA wird die theologische Unvereinbarkeit der göttlichen und menschlichen Gesetze untermauert und den irdischen Gesetzen eine falsche Orientierung für die Menschheit zugeschrieben. Solche Inhalte können weder das Demokratiebewusstsein unter Muslimen fördern noch die Studierenden befähigen, eine bestimmte Theologie kritisch zu hinterfragen. Bildungseinrichtungen, die eine Brücke zwischen Gesellschaft und muslimischer Community sein sollten, verwandeln sich dadurch in eine abgeschlossene, theologisch sichere Insel.

In der Lehre ist die Auseinandersetzung zwischen Säkularismus und Islam zu vermissen. Wie wird die Trennung von Religion und Staat begründet? Was ist die Theologie des Dialoges? Weitere wichtige Fragen für die gesellschaftliche Identifikation finden in der Lehre nicht genügend Raum. Nach den beiden Imamkonferenzen hat man sich sehr gute Ziele zur Entwicklung einer gegenwartsfähigen Integrationstheologie vorgenommen. Es wäre nun nach so langer Zeit angebracht, nach den Ergebnissen unter den muslimischen Gemeinden zu fragen. Welche Arbeitsgruppen etwa haben sie evaluiert? Wie viele Imame wurden weitergebildet, und wie sieht es mit den Fortschritten ihrer Sprachkenntnisse aus?

Politische oder fachliche Gründe?

Es ist mir bewusst, dass die Entwicklung einer neuen Religionspädagogik noch Zeit und Ruhe braucht. Eine Gefahr, die für alle islamische Einrichtungen gilt, bestünde darin, dass die Muslime sich dieser Aufgabe nicht stellen, ihr Heil wieder in den Traditionen, in der verklärenden Geschichte suchen und ihre Einrichtungen nach den bekannten klassischen Mustern gestalten, um vor diesen Aufgaben zu fliehen.

Wichtig ist auch, die Dozenten kritisch zu betrachten, und zu hinterfragen, mit welcher Qualifikation die Lehrkörper unterrichten. Dabei ergibt sich auch die Frage, ob sie nur aus politisch-theologischen Gründen oder aus fachlichen Gründen beschäftigt werden. Die überwiegend außereuropäisch ausgebildeten Dozenten tun sich damit sehr schwer, auf die Herausforderungen der Gegenwart zu reagieren.

Die letzten Personalentscheidungen an der IRPA erweckten den Eindruck, dass sich die IGGiÖ ganz bewusst für eine bestimmte theologische Richtung entschieden hat. Das Argument, dass sich die muslimischen Organisationen nicht mit einer gesellschaftsorientierten Theologie identifizieren würden, scheint keine zukunftsorientierte Einstellung zu sein. Die Fragestellung, ob diese Lehre einen Widerspruch zwischen Islam und Demokratie fördern würde, könnte unter diesen Umständen mit „Ja“ beantwortet werden. Das Fortbildungsangebot für die Lehrer beruht auf einer bestimmten theologischen Position, die den Erwartungen der Schulwirklichkeit nicht entspricht. Hier ist die Frage berechtigt, wer dieses Programm gestaltet, welches theologische Verständnis dahintersteckt. Von großer Relevanz wäre auch, wer dieses Programm kontrolliert.

Es fehlen funktionierende Strukturen

Der Glaubensgemeinschaft fehlen funktionierende Organisationsstrukturen, die Aufgaben und Kompetenzen eindeutig definieren. Sie konzentrieren sich auf den Präsidenten. Das macht die einzelnen Abteilungen funktionsunfähig und fördert persönliche Abhängigkeit. Mit all diesen Aufgaben ist der Präsident überfordert, und er verliert zwangsläufig die Übersicht. Nach der Amtszeit von Abdurrhaim Sai war Anas Schakfeh eine große Bereicherung für die IGGiÖ, doch nun stellen wir fest, dass die Aufgaben und Herausforderungen seine Verhältnisse überfordern. Unter diesen Umständen muss man aber auch seine Bemühungen und bisherigen Leistungen honorieren.

Nun drängt sich die Frage auf, die uns eigentlich beschäftigen sollte: Was tun? Die wachsenden Stimmen, die die Einmischung des Staates fordern, ignorieren die säkularen Werte dieser Gesellschaft – dass sich der Staat in die religiösen Angelegenheiten nicht einmischen sollte. Das ist gut so. Der Staat kann jedoch Hilfestellungen zur Kompetenzförderung der IGGiÖ leisten, die sie befähigt, ihren Aufgaben zu entsprechen. Die Reformen, die für die Zukunft der Muslime von Bedeutung sind, können hingegen nur von Muslimen selbst erbracht werden. Das Scheitern des „Modells Österreich“ könnte ein Scheitern des Islam in Europa bedeuten. Dieses Projekt sollte den Muslimen unbedingt gelingen, und der Islam sollte hier seine Demokratiefähigkeit unter Beweis stellen. Hier geht es um die Zukunft der Muslime in Europa.

Für dringend notwendig erachte ich die Gründung eines unabhängigen, wissenschaftlichen Beirates für die IRPA und den Fortbildungslehrgang. Dieser Beirat muss aus fachlich qualifizierten, inländischen und ausländischen Wissenschaftlern gebildet werden. Er soll die Gesamtarbeit der Bildungseinrichtungen der IGGiÖ evaluieren und Verbesserungsmaßnahmen unterbreiten. Die Kooperation mit den staatlichen und kirchlichen Einrichtungen sollte intensiviert werden. Langfristig betrachte ich es als notwendig, dass die Lehrerausbildung für die Pflichtschulen an der Universität Wien etabliert wird. Aus Korchides Studie erweist sich, dass Lehrer mit Universitäts-, aber auch mit Maturaabschluss als höchster formaler Bildung in Aufgaben wie der Vermittlung von allgemeinen Wertvorstellungen, von Demokratie und Menschenrechten sowie von modernen Werten mehr Priorität sehen als die IRPA-Absolventen.

Barbara Schneider-Taylor vom Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien betrachtet die Einführung eines Bachelor-Studiengangs für die muslimischen Pflichtschullehrer in Analogie zu den Bachelor-Studiengängen der Katholischen und Evangelischen Theologie als wünschenswert.

Entwicklung von Bildungsstandards

Die Lehrpläne sollten dringend überarbeitet und erneuert werden. Wichtig scheint mir in diesem Prozess die Entwicklung von Bildungsstandards für den IRU, die den Ertrag nach wissenschaftlichen Kriterien beurteilen lassen.

Das Projekt am Institut für Bildungswissenschaft in Zusammenarbeit mit der katholischen Fakultät zur Entwicklung der Bildungsstandards für den katholischen und islamischen Religionsunterricht zeigt, dass diese Standards die Qualitätsentwicklung des Religionsunterrichtes fördern würden. Auf dieser Grundlage könnten die Lehrbücher überarbeitet und die veralteten Bücher ersetzt werden.

Diese Arbeit kann uns Muslimen nur gelingen, wenn wir uns zur Demokratie bekennen und ihre Werte verinnerlichen. Aus einer theologischen Überzeugung heraus die Identität und Zukunft am Rand der Gesellschaft zu suchen, würde nämlich all diese Bemühungen scheitern lassen. Khorchide im Interview S. 10

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2009)

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