„Lonesome George“, der Letzte seiner Art

Die Reproduktion bringt mehr Leben, als Ressourcen da sind, sie treibt die Evolution. Nicht immer.

In der Forschungsstation der Darwin Foundation auf den Galápagos lebt einer, der sein Schicksal im Namen trägt, „Lonesome George“, er ist der Letzte seiner Art, einer der 12 Arten von Riesenschildkröten – bis zu 1,20 Meter hoch und 300 Kilo schwer –, die einst in riesigen Zahlen die Inseln des Archipels besiedelten. George ist um die 80, das ist kein Alter, vor drei Jahren starb in einem australischen Zoo Harriet, ein Weibchen einer anderen Art, sie war 175, Darwin hätte ihr begegnen können – er tat es nicht, er kam nicht auf ihre Insel –, als er mit den Giganten Späße trieb: „Es amüsierte mich immer, wenn ich eines dieser großen Ungeheuer auf seinem gemächlichen Marsch überholte und es in dem Moment, in dem ich an ihm vorüberging, Kopf und Beine einzog und wie tot auf die Erde plumpste.“

Der Schutzreflex half ihnen nichts, als die Menschen kamen, die Bestände wurden abgeräumt, Darwin berichtete von Walfängern, die 700 Schildkröten pro Schiff als lebenden Vorrat einlagerten, und schloss daraus, „wie äußerst zahlreich sie gewesen sein müssen“. Aber was große Zahlen bedeuten, bemerkte er erst später, bei der Lektüre von Thomas Malthus, dem Ökonomen, der das Bevölkerungswachstum nachzeichnete und zeigte, dass die Fülle des neuen Lebens die Grenzen der Ressourcen übersteigt und zu Hunger und Tod führt, wenn nicht neue Ressourcen erschlossen werden können. Malthus meinte die Menschen, Darwin legte es auf die ganze belebte Natur um, er hatte damit den zweiten Schlüssel der Evolution: Den ersten, den Mechanismus, kannte er schon, er besteht aus Variation und Selektion (Teil 5 der Serie).

Die Vermehrung der Elefanten

Aber die Triebkraft hatte er lange gesucht, nun hatte er sie – die Reproduktion – und begann zu rechnen, mit denen, die sich „am langsamsten vermehren“: Die Nachkommen eines einzigen Elefantenpaars würden sich „am Ende des fünften Jahrhunderts auf 15 Millionen lebende Exemplare“ summieren. So bilanzierte er „mit einiger Mühe“ in der ersten Auflage des „Origin“, es war nicht korrekt, in der zweiten Auflage korrigierte er auf „19 Millionen in 740 bis 750 Jahren.“

Auch das ist nicht korrekt, aber es spielt keine Rolle, es ging Darwin ums Prinzip, um die Fülle von Individuen (innerhalb jeder Art), die automatisch die der Ressourcen überschreitet – und den „struggle for life“ in Gang setzt, die Evolution antreibt: Nur die überleben, die durch Zufälle der Geburt am besten an die Umwelt angepasst sind.

Aber „Lonesome George“ widerspricht, er lässt sich nicht treiben: Man hat ihm Weibchen zugeführt, er hat sich nicht gepaart, zumindest nicht erfolgreich, er hatte keine Lust. Das mag seine private Schrulle sein, aber noch jemand widerspricht: Seit in den westlichen Gesellschaften Sexualität und Reproduktion entkoppelt sind – Pille –, raufen sich Demoskopen und Rentenexperten die Haare. Nur die Evolutionsbiologen haben es noch nicht zur Kenntnis genommen.

Ausgestorben ist bisher eine Art der Galápagos-Riesen, mit George wird die zweite gehen. Soferne nicht die Biotechnik hilft: Manche denken daran, George zu klonen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Bühne

Wie man Mäuse „humanisiert“

Das Wiener Darwin-Symposium begann mit dem Ursprung des Menschen – und der DNA unseres Cousins, des Neandertalers.
Wissenschaft

Darwinismus-Debatte: „Ich kann eine Intervention Gottes nicht ausschließen“

Der Wiener Physiker Anton Zeilinger über den Zufall in der Physik, die Möglichkeit Gottes und die Grenzen der Evolutionstheorie.
Wissenschaft

Darwin-Serie: „Das ist eine verdammenswerte Glaubenslehre“

Der Forscher, der Theologie studiert hatte und zunächst tiefgläubig war, wandte sich Schritt für Schritt vom Christentum ab.
Graeme Sawyer holds a 40cm (15 inch) long cane toad near Darwin
Wissenschaft

Darwin: Evolution im Zeitraffer

In Australien kann man zusehen, wie Arten sich an die Umwelt – und aneinander – anpassen.
Affen
Wissenschaft

Darwin: Sie lachen wie Kinder

Mit seinen offenen Augen sah schon der junge Forscher die Ursprünge unserer Gefühle in Tieren.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.