Traditionalisten-Streit
Pressestimmen: ''Papst war ahnungslos''
''Die Zeit'' (Hamburg)
"Das Einzige, was sich für den Papst mildernd anführen lässt, jedenfalls bis zum Beweis des Gegenteils, ist, dass er ahnungslos war. Er scheint wirklich nichts gewusst zu haben von den menschenverachtenden Äußerungen des Holocaust-Leugners Richard Williamson. (...) Vergebung kann es nur geben, wenn der Papst seine unselige Entscheidung zurücknimmt. Das offen zu fordern, trauen sich die katholischen Würdenträger noch nicht, obwohl sie sich in beispielloser Klarheit gegen die einsame Entscheidung des Vatikans auflehnen. Sie müssen es aber. (...) Es wird Zeit, dass Skandale nicht erst dann als Skandale erkannt und verurteilt werden, wenn die direkt Betroffenen sich beschweren, und ganz besonders, wenn es Juden tun. Benedikts Entscheidung ist in erster Linie eine Katastrophe für die katholische Kirche, sie entzweit die Katholiken mehr, als es die Abspaltung der Lefebvre-Jünger je vermocht hat."
''Süddeutsche Zeitung'' (München)
"So wie es der Kirche unbenommen ist, die Politik des Staates zu kritisieren, ist es dem Staat unbenommen, die Politik des Vatikans zu kritisieren. Es gibt kein Zurückhaltungsgebot. Es gibt sogar ein Zurückhaltungsverbot, wenn es, wie bei Bischof Williamson, um die Leugnung des Holocaust geht. (Bundeskanzlerin Angela) Merkel darf sich auf Papst Bonifatius VII. berufen. Von ihm stammt der Satz: 'Wer schweigt, stimmt zu'. Diesen Eindruck durfte die Kanzlerin nicht erwecken."
''La Repubblica'' (Rom)
"Alle Augen sind jetzt auf Richard Williamson gerichtet. Vom Vatikan zum Widerruf seiner Holocaust-Leugnung aufgefordert, muss der traditionalistische Bischof in der Abgeschiedenheit seines Priesterseminars in der Nähe von Buenos Aires entscheiden, ob er in öffentlicher Selbstkritik von seinen Shoah-Äußerungen abrücken will. (...). Was zwischen dem Heiligen Stuhl und den Traditionalisten nun abläuft, ist wie ein Wettlauf gegen die Zeit. Denn das vatikanische Ultimatum an Williamson muss binnen kurzem klare und positive Antworten finden, wenn man nicht will, dass die ganze Affäre wie ein Bumerang auf den Papst zurückfällt und das Desaster noch verstärkt."
''de Volkskrant''
"Für viele Europäer ist der Konservativismus des Vatikans unbegreiflich. Welche Zukunft kann eine Kirche haben, die Homosexualität und Schwangerschaftsverhütung grundsätzlich abweist? Eine Erklärung könnte sein, dass der Vatikan glaubt, im weitgehend säkularen Europa nichts mehr gewinnen zu können. Das Wachstum der Kirche liegt in der Dritten Welt, wo noch traditionelle Auffassungen vorherrschen. Unter Benedikt XVI. wurde diese Strategie noch verstärkt."
''Der Tagesspiegel'' (Berlin):
"Es mag sein, dass dieser Papst keine Abspaltung ins Ultrakonservative auf Dauer zulassen will, um nicht einer anderen Kirche das Wort zu reden, um aus Anhängern des (verstorbenen Traditionalisten-Erzbischofs und Konzilsgegners Marcel) Lefebvre keine anderen Lutheraner zu machen. Nur ist das nicht die Dimension, und die Gefahr eines derartigen Schismas besteht nicht. Eher würde dieser Papst das weitere Abfallen von Reformwilligen provozieren, wollte er Kritik ignorieren. So hat die gegenwärtige Krise durchaus Gutes, Heilsames. Sagen wir einfach: Die katholische Kirche ist auch nur eine Kirche. Ihr Oberhaupt ist auch nur ein Mensch. Beide können Irrtümern unterliegen, sind fehlbar. Das macht die Auseinandersetzung mit ihnen nicht weniger wertvoll - auch eine Abgrenzung kann segensreich sein."
''die tageszeitung'' (TAZ) (Berlin):
"Sie sind katholisch, haben aber seit Jahren keine Kirche mehr von innen gesehen? Sie könnten das Vaterunser zwar noch, aber bereits beim Glaubensbekenntnis würden Sie ins Stottern kommen? (...) Und der Abschnitt auf Ihrer Steuererklärung übertitelt mit Kirchensteuer ist Ihnen ebenfalls schon lange ein Dorn im Auge? Dann sind Sie der perfekte Austrittskandidat. Und wenn nicht jetzt, wann dann? Angesichts des Streits über den Holocaust-Leugner Bischof Williamson und des ungeschickten Umgangs des Papstes damit könnten Sie Ihren Kirchenaustritt zusätzlich mit einer politischen Botschaft aufplustern. (...) Im Übrigen: So sehr dramatisieren müssen Sie Ihre Austrittsüberlegungen nicht - denn Sie können problemlos immer wieder eintreten. Zumindest der strengen katholischen Lehre zufolge kennt die Kirche zwar Rausschmiss, aber keinen Austritt. Wer einmal getauft ist, bleibt es sein Leben lang. Wer hingegen wirklich dem Vatikan für immer den Rücken kehren möchte, müsste den Papst schon schwerwiegend brüskieren - oder den Holocaust leugnen. Und selbst das ist bekanntlich nur Theorie..."
''Kölner Stadt-Anzeiger'':
"Wofür (Bundeskanzlerin Angela) Merkel positiv steht, ist und bleibt schwer erkennbar. So registrieren sie in der CDU, wie die Chefin sich mit dem Papst verkämpft, und sagen sich: 'Wäre sie doch sonst auch so eisern!' So sehr gilt Merkel als weltanschaulich leidenschaftslos, dass man ihr jetzt zutraut, sie habe mit der Kritik an Benedikt XVI. den anti-papistischen Schwung des Augenblicks mitnehmen wollen. Für einen guten Platz auf der Beliebtheitsskala mag das taugen, für den guten Ruf ist es fatal."
''Darmstädter Echo'':
"Im Haus des Herrn sind viele Wohnungen. So sieht es die katholische Kirche seit langem, und sie fährt gut damit. Die Gemeinschaft der Gläubigen bietet Platz für kritische Basisdemokraten wie für konservative Marienverehrer. Lärm und Streit gibt es in diesem Riesengebäude des öfteren, gern auch mit der Hausverwaltung. Jetzt aber bedroht der Wiedereinzug asozialer Mitbewohner die Statik. Die Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der Pius-Bruderschaft hat das Pontifikat Benedikts XVI. über Nacht zur Krisenzeit abgewertet. Auch eine Weltkirche darf einer Gruppe keinen Raum geben, deren Vertreter Juden als Gottesmörder verunglimpfen, die Ökumene ablehnen oder Frauen nur in untergeordneter Funktion dulden. (...) Die Hand ausgerechnet einer unverblümt judenfeindlichen Gruppe entgegenzustrecken, die wesentliche Reformen der Kirche bekämpft, ist freilich auch durch ein hehres Ziel nicht zu rechtfertigen."
''Mitteldeutsche Zeitung'' (Halle):
"Der Papst hatte die Einheit seiner Kirche stärken wollen, doch die zum ultrarechten Rand hin ausgestreckte Hand erwies sich als kirchenpolitisch verheerend. Viel vatikanisches Porzellan ist zu Bruch gegangen, weil unter den teilrehabilitierten traditionalistischen Bischöfen auch der Holocaust-Leugner Richard Williamson ist. Während in Rom jetzt fieberhaft daran gearbeitet wird, die 'Affäre Williamson' zu entschärfen, ist doch einiges nicht aus der Welt zu schaffen: Die schwerste Krise in dem bald vierjährigen Pontifikat von Benedikt XVI. schwächt die Autorität des deutschen Papstes nicht nur in seinem Heimatland. Statt mehr Einheit zeigen sich mehr Risse. Und Joseph Ratzinger hat seinen restaurativen Kirchenkurs nur weiter verstärkt."
Weiter: Pressestimmen zu Merkels Vatikan-Kritik vom Donnerstag (5. Februar)
Weiter: Pressestimmen zu Merkels Vatikan-Kritik vom Donnerstag (5. Februar)
''Süddeutsche Zeitung'' (München):
"Erstmals in der jüngeren deutschen Geschichte hat sich ein höchstrangiger Politiker, die Bundeskanzlerin nämlich, nicht in bittendem, sondern in forderndem Ton an den Papst gewandt. Er solle Klarheit schaffen, verlangte Angela Merkel, dass es keine Leugnung des Holocaust geben dürfe. Bisher sei dies nicht hinreichend deutlich erfolgt. Und dann warf Merkel dem vatikanischen Staatsoberhaupt indirekt auch noch vor, dass seine Worte und Handlungen den 'positiven Umgang mit dem Judentum insgesamt' in Zweifel zögen. Es ist ein großer Unterschied, ob Kolumnisten oder notorische Papst-Kritiker solche Vorwürfe äußern oder die deutsche Kanzlerin. Wie groß dieser Unterschied ist und als wie groß er auch im Vatikan empfunden wird, zeigt die prompte Reaktion: Der Papst ließ Bischof Richard Williamson jetzt zum Widerruf auffordern. Das macht den Fehler Benedikts nicht geringer, aber immerhin versucht er nun, alarmiert vom Proteststurm, eine Teil-Wiedergutmachung. Die Kanzlerin hat mit ihrer Ermahnung richtig gehandelt und sie hatte, anders als dies nun mancher Bischof insinuiert, alles Recht dazu. Dies ist keine Einmischung in die Angelegenheiten der katholischen Kirche, sondern die Antwort darauf, dass der Papst gegen die Religion verstoßen hat, nämlich gegen die Zivilreligion, die in diesem Land gilt. (...) Zur deutschen Zivilreligion gehört das an christliche Werte angelehnte Menschenbild des Grundgesetzes. Zentraler Pfeiler ist aber auch das 'Nie wieder', die Bundesrepublik als staatlich organisierte Antithese zur Nazi-Diktatur. Die Kirche will mitten in der Gesellschaft leben. Dann muss sie auch akzeptieren, dass sich die Gesellschaft wehrt, wenn der Papst die Kirche an den Rand zu rücken scheint."
''die tageszeitung'' (TAZ) (Berlin):
"Es wird wohl nicht allein an Angela Merkel gelegen haben, dass sich der Vatikan am Ende zu einer deutlichen Kurskorrektur genötigt sah. Stärker dürfte das Wort der deutschen Bischöfe, die sich deutlich von Benedikt distanziert hatten, ins Gewicht gefallen sein. Nicht während seiner wöchentlichen Generalaudienz, dafür per Pressemitteilung gab der Papst seine Kehrtwende bekannt. Dass Benedikt XVI. selbst die Leugnung des Massenmords an den Juden in keiner Weise billigt, hatte er schon zuvor deutlich gemacht. Mit seiner Aufforderung an Williamson, seine umstrittenen Äußerungen zur Shoah 'in unmissverständlicher Weise' zu widerrufen, wenn er als katholischer Bischof vollständig rehabilitiert werden wolle, hat er jetzt gerade noch die Kurve gekriegt. Indem er behauptet, von diesen Äußerungen nichts gewusst zu haben, wäscht der Papst seine Hände in Unschuld. Und indem er es Williamson überlässt, über seinen Schatten zu springen, betreibt er Schadensbegrenzung. So hat er seine angekratzte Autorität zumindest vorerst wiederhergestellt."
''Stuttgarter Zeitung'':
"Merkel hat vielen Menschen aus dem Herzen gesprochen, als sie vom Papst eine Klarstellung (...) gefordert hat. Einhellig ist das Echo nicht ausgefallen. Dass abseits vom Kanzlerwort weitere diplomatische Kanäle bemüht worden seien, um Einfluss gegenüber Rom geltend zu machen, wollte Berlin nicht bestätigen. Lediglich mit dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, habe Merkel gestern früh telefoniert. Das könnte allerdings schon damit zu tun haben, dass aus dem kirchlichen Raum und aus den Unionsparteien auch kritische Stimmen an Merkels Vorgehen laut geworden waren."
''Le Monde'' (Paris):
"Auch wenn Benedikt XVI. immer schon bekräftigt hat, im Zweiten Vatikanischen Konzil vielmehr 'eine Kontinuität' als einen 'Bruch' mit der Tradition der Kirche zu sehen, kann man an seinem Wunsch, die Fundamentalisten zu rehabilitieren, doch ohne Zweifel auch eine Art ablesen, die Grenzen des Konzils zu betonen und insbesondere eines seiner propagierten Ziele: die Aussöhnung der Kirche mit der modernen Demokratie. (...) Es fällt dennoch schwer zu glauben - wie es einem bestimmte Leute glauben machen wollen -, dass der Papst den düsteren kulturellen und ideologischen Hintergrund von einem Teil der Fundamentalisten, den er bereit ist, wieder aufzunehmen, nicht kennt. Es fällt auch schwer zu glauben, dass ihn seine Isolation im Vatikan und sein hohes Alter davon abhalten, die Auswirkungen seiner Entscheidungen zu ermessen, und dass die Kurie, die ihn umgibt und die ihn berät, reaktionärer ist als er..."
''La Stampa'' (Turin):
"Endlich hat der Vatikan in eindeutiger Weise Richard Williamson aufgefordert, seine den Holocaust leugnenden Thesen zurückzunehmen. Es war auch Zeit (...). Es ist wahrscheinlich, dass diese Wende nach längerer Ungewissheit nicht zuletzt der klaren Stellungnahme der Bundeskanzlerin Angela Merkel zu verdanken ist. Sie hatte im Namen all ihrer Mitbürger den Papst öffentlich und ausdrücklich um eine unmissverständliche Klarstellung gebeten. Es war nicht zu verstehen, wie gerade 'der deutsche Papst' nicht verinnerlicht haben sollte, dass die zivile und religiöse deutsche Gesellschaft, für die die Erinnerung an den Holocaust ein wesentliches und einheitsstiftendes Moment darstellt, durch die Rehabilitierung von Williamson zutiefst verletzt werden konnte. Es ist begrüßenswert, dass in einem Europa der peinlich berührten oder gleichgültigen Politik es die deutsche Kanzlerin gewesen ist, die ohne falsche Schüchternheit das Problem bei den Hörnern gepackt hat."
''Corriere della Sera'' (Mailand):
"Die deutsche Kanzlerin gegen den deutschen Papst. In einem ungewöhnlichen und unerwarteten Vorstoß hat Angela Merkel mit Nachdruck in den scheinbar nur religiösen Streit um die Entscheidung des Papstes eingegriffen. Die Kanzlerin hat die Frage damit auf ein politisches Terrain verschoben. (...) Benedikts Entscheidung, die Exkommunikation der vier Traditionalisten aufzuheben, darunter des Holocaust-Leugners Williamson, hatte in den vergangenen Tagen eine Welle der Proteste ausgelöst, wie es bisher wenige gegeben hat. Nicht nur jüdische Gemeinden, sondern auch zahlreiche Bischöfe haben sich öffentlich gegen diese päpstliche Entscheidung gestellt. Frau Merkel hat sich zur Wortführerin eines Großteils des Landes gemacht."