Leitartikel: Verkehrte Behandlungsmethode

Schwindsucht in der Krankenversicherung: Da helfen alte Rezepte eines Ex-Kassenchefs als Minister wenig.

Die rot-schwarze Regierung hätte sich die weite Anreise zu ihrer ersten Klausur nach Osttirol sparen können. Zumindest, was das Notfallpaket für die Krankenkassen betrifft. Denn die große, 400 Millionen teure Finanzspritze, die Gesundheitsminister Alois Stöger zur Linderung der Dauerschwindsucht in den Bilanzen der Krankenkassen noch heuer auspacken will, liegt ohnehin stets griffbereit in seinem Ressort in Wien herum. Und die nächste 450-Millionen-Injektion zur „Entschuldung“ steht für 2010 bereits bereit. Diese Behandlungsmethode hat allerdings schon in der Vergangenheit keine dauerhafte Gesundung der Krankenkassen bewirkt. Anders als in den bekannten TV-Werbespots muss es in diesem chronischen Krankheitsfall jedoch heißen: Über schwere negative Nebenwirkungen für das Bundesbudget und damit in der Folge für die Steuerzahler informieren in diesem Fall weder Arzt noch Apotheker.

Bundeskanzler Faymann und Finanzminister Pröll hätten sich den Semesterferien-Kurzausflug nach Sillian bestimmt anders vorgestellt. Denn das rot-schwarze Gezerre um die Kassensanierung beweist, dass es keineswegs immer so kuschelig zugeht, wie uns das SPÖ und ÖVP weismachen wollen. Faymann hatte als Wohlfühl-„Chefarzt“ dieser Regierung jedenfalls mit der eigenmächtigen Aktion seines Gesundheitsministers keine Freude und fiel diesen am Montag in dem Arm. Im Eilzugstempo 400 Millionen Euro zu verpulvern war selbst dem Chef dieser seltsamen rot-schwarzen Anstalt zu viel.


Umso verständlicher ist daher, dass Finanzminister Pröll eine solche Behandlung nicht einfach über sich ergehen lassen wollte, sondern sich (vorerst) wehrte. Denn beim Verschreiben der Mittel zur Sanierung der Krankenkassen ist dem roten Gesundheitsminister die Reihenfolge der Medikamente völlig durcheinandergekommen: Zuerst müsste der Patient Gesundheitswesen einer Generalkur unterzogen werden, ehe der Notfallkoffer mit dem Geld zum Einsatz kommt.

Erst im Rahmen einer umfassenden Behandlung ist dann ein Ansatzpunkt Stögers richtig: Die Krankenkassen müssen von Leistungen entlastet werden, die ihnen die Politiker zusätzlich aufgebürdet haben, obwohl die Kassen längst finanziell gekränkelt haben. Kinderkriegen ist keine Krankheit: Daher ist es auch gerechtfertigt, dass nicht mehr die Kassen das Wochengeld für junge Mütter zahlen, sondern der Familienlastenfonds. Nur sollte die Regierung den Österreichern dabei kein X für ein U vormachen. Denn weil der Familienfonds ebenfalls tief im Minus ist, steht auch dafür der Bund mit seinem Budget gerade, letztlich zahlt wieder der Steuerzahler. Ebenso ist das beim Bundesbeitrag für die Krankenkassenbeiträge der Pensionisten.

Was unter dem harmlosen Begriff Kostenersatz für die Kassen läuft, ist demnach nur eine weitere Geldzufuhr, bevor die Regierung noch die „Entschuldungs“-Millionen rüberrückt. So stellt sich halt der kleine Ex-Krankenkassenobmann aus Oberösterreich eine Kassensanierung vor. Und das alles, nur zur Erinnerung, nachdem die Kassen seit Jahresbeginn ein Körberlgeld durch die Senkung der Mehrwertsteuer auf Medikamente einstreifen.


Darüber hinaus setzt der Gesundheitsminister zwar nicht aufs Gesundbeten, aber statt umfangreicher Reformen im Gesundheitswesen auf fromme Wünsche. So etwa, wenn er ein „Ökonomiegebot“ beim Umgang mit den Mitteln ins Gesetz schreiben will. Ein bisschen mehr Mühe wird sich Rot-Schwarz bei einer Kassenreform schon machen müssen. Zuerst sollten sie einmal auf ein bewährtes Hausmittel zurückgreifen: Es müssen mit Krankenkassen, Ärzten, Apotheken, Pharmawirtschaft, Ländern und Gemeinden alle (Spar-)Maßnahmen fix und fertig vereinbart werden, ehe Geld hineingepumpt wird. Dies kann nicht ohne Einbeziehung der Spitäler passieren.

Es wird nur dann funktionieren, wenn Pröll mit Rückendeckung des Bundeskanzlers den Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden neu verhandelt. Da werden die Länder nicht mitspielen? Na, dann wird der Bund halt auch nicht darüber verhandeln, dass sich die Länder wegen der Steuerreform hunderte Millionen aus den Einnahmen wünschen. Logisch.

Damit es im Gesundheitswesen im alten Trott weitergeht, hat es wirklich keiner Neuwahl und keiner Neuauflage von Rot-Schwarz bedurft. Pröll braucht sich nur daran halten, was er gerade in Inseraten verspricht: Jetzt. Richtig. Handeln.

Krankenkassen Seite 1
Regierungsklausur Seite 2


karl.ettinger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2009)

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