Deutschland: Verfassungsrichter zweifeln an EU-Reformvertrag

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Deutsche Verfassungsrichter(c) AP (Winfried Rothermel)
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Die Richter in Karlsruhe könnten die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon in Deutschland verhindern. Die Bundesregierung verteidigt derweil das Abkommen. Ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat deutliche Zweifel am EU-Reformvertrag von Lissabon geäußert. Mehrere der acht Karlsruher Richter stellten am Dienstag bei der mündlichen Verhandlung überraschend kritische Fragen an Vertreter der Bundesregierung und des Bundestages. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verteidigten das Reformwerk und sehen die Demokratie in Europa gestärkt.

Die Richter des Zweiten Senates müssen über mehrere Verfassungsbeschwerden und Organklagen gegen den Vertrag entscheiden. Unter den Klägern sind der CSU-Politiker Peter Gauweiler und die Linksfraktion im Bundestag. Nach den Auffassungen der Kläger gibt der Bundestag mit dem Abkommen zu viel Macht an die europäische Ebene ab. Außerdem habe die EU nach wie vor ein Demokratie-Defizit. Die Beschwerdeführer wollen die Ratifizierung verhindern.

Mehr Freiheit durch weniger Kompetenzen?

Der Berichterstatter in dem Verfahren, Verfassungsrichter Udo Di Fabio, warf die Frage auf, ob die Übertragung von Kompetenzen an die EU für die Bürger wirklich mehr Freiheit bedeute oder sie vielleicht sogar gefährde. Der Richter und mehrere seiner Kollegen stören sich offenbar besonders an der geplanten Kompetenz für die EU, auch im Strafrecht neue Paragrafen erlassen zu können. Bislang hatte dieses Privileg nur der Bundestag. Innenminister Schäuble antwortete auf eine entsprechende Frage ausweichend. Di Fabio wies darauf hin, dass es in Deutschland bei schweren Straftaten kaum Gesetzeslücken gebe.

Die Sitzung wird am Mittwoch fortgesetzt. Eine Entscheidung des Zweiten Senates unter Vorsitz von Gerichtsvizepräsident Andreas Voßkuhle könnte es im Mai oder Juni geben.

Schäuble und Steinmeier verteidigten den Vertrag, der neben Deutschland nur noch von Irland, Polen und Tschechien auf den Weg gebracht werden muss. "Der Vertrag von Lissabon stärkt die demokratischen Grundlagen der Europäischen Union nachdrücklich", sagte Steinmeier. Ähnlich äußerten sich Vertreter des Bundestages, der im vergangenen Jahr mit großer Mehrheit für das Abkommen stimmte.

Umfassende Reform durch Vertrag von Lissabon

Mit dem Vertrag von Lissabon soll die EU umfassend reformiert werden. Vorgesehen ist etwa, in Zukunft öfter mehrheitlich und ohne Blockaderecht eines Landes abzustimmen. Außerdem soll die Rolle des EU-Parlamentes gestärkt werden. Falls Karlsruhe inhaltliche Änderungen an dem Reformwerk verlangen sollte, wäre es vermutlich gescheitert. Dass es nach einem entsprechenden Richterspruch aus Karlsruhe neue Verhandlungen und Abstimmungen in allen 27 EU-Staaten gibt, ist äußerst unwahrscheinlich. Nach dem Willen einiger EU-Politiker sollen ohne den Vertrag von Lissabon keine neuen Staaten in die EU aufgenommen werden. Mögliche Neumitglieder sind Kroatien und das wegen der Finanzkrise ins Straucheln geratene Island.

Steinmeier widersprach der Darstellung der Gegner, dass Deutschland zu viel Macht an die EU abgebe. "Der Vorwurf der Entstaatlichung verkennt vollkommen den Vertrag von Lissabon", betonte der SPD-Politiker. Die EU-Mitglieder blieben die Herren der Verträge zwischen Staaten.

Schäuble wies darauf hin, dass die Bundesrepublik bereits im Hinblick auf eine europäische Einigung gegründet worden sei. Deutschland könne jederzeit aus der EU austreten. "Der Vertrag beeinträchtigt die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht."

Kritiker: Einschnitt in europäische Integration

Gauweilers Vertreter Dietrich Murswiek sprach dagegen von einem Einschnitt in der Geschichte der europäischen Integration. Die EU verwandele sich in eine staatsähnliche Konstruktion. Zugleich würden die Gesetzgebungskompetenzen des Bundestages beschnitten, und das Demokratiedefizit in der EU werde noch größer.

Linksfraktionschef Oskar Lafontaine sagte, das Grundgesetz und der Vertrag von Lissabon seien nicht vereinbar. Die Partei kritisiert vor allem, dass die EU nicht ausreichend legitimiert sei. Zudem gebe der Bundestag das Recht ab, über Bundeswehr-Einsätze zu entscheiden.

(Ag.)

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