Darwin-Serie: „Das ist eine verdammenswerte Glaubenslehre“

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Der Forscher, der Theologie studiert hatte und zunächst tiefgläubig war, wandte sich Schritt für Schritt vom Christentum ab.

Am Anfang, als er die Welt noch für erschaffen hielt und „nicht den geringsten Zweifel daran hatte, dass jedes Wort in der Bibel wahr ist“, war Darwin so „orthodox“, dass er die Bibel auch in „einer moralischen Frage als unwiderlegbare Autorität“ zitierte, es war am Beginn seiner Reise auf der „Beagle“, „einige Offiziere lachten“ ihn „herzlich dafür aus (obwohl sie selbst orthodox waren)“.

Eine Grenze hatte er allerdings früh gezogen: „Ich war nie so ein Narr, dass ich gesagt und gefühlt hätte ,credo quia incredible‘.“ Mit der Vernunft musste Gott schon zusammengehen, und weil er das mit fortschreitender Reife von Darwin – und seiner Theorie – nicht tat, wandte sich der Forscher „Schritt für Schritt“ von ihm ab. Und zwar schon auf der Reise mit der Beagle: „In den zwei Jahren (Oktober 1836 bis Januar 1839) war ich zu der Ansicht gekommen, dass das Alte Testament mit seiner manifest falschen Geschichte der Welt, dem Turmbau zu Babal etc. etc. und der Zuschreibung der Gefühle eines rachsüchtigen Tyrannen zu Gott nicht mehr Vertrauen verdient als die heiligen Bücher der Hindus, oder der Glaube irgendwelcher Barbaren.“

Mehr noch: „Ich kann kaum sehen, wie irgendjemand das Christentum für wahr halten kann, denn sein Text scheint mir zu zeigen, dass Menschen, die nicht glauben – das würde meinen Vater, meinen Bruder und fast alle meine Freunde einschließen –, auf ewig bestraft werden. Und das ist eine verdammenswerte Glaubenslehre.“

So urteilt er vom moralischen Standpunkt aus, aber er vertraut auch auf seine Empirie: „Das alte Argument des Design in der Natur“ – Darwin schreibt „design“ – zerrinnt angesichts der Fakten, „es gibt nicht mehr Design in der Variabilität organischer Wesen und der Aktion der natürlichen Selektion als in der Richtung, in die der Wind bläst. Alles in der Natur ist das Ergebnis fester Gesetze.“

In diesem Rahmen kann er einordnen, was ihm lange größtes Kopfzerbrechen bereitet hat, „das viele Leiden in der Welt“. Bei Menschen kann man das irgendwie rechtfertigen – Leid mag zur Besserung aufrufen –, „aber bei den Millionen niederen Tieren durch endlose Zeiten? Dieses alte Argument gegen die Existenz eines intelligenten ersten Grundes scheint mir ein starkes.“

Glaube, ein Instinkt wie andere?

Dann geht er den letzten Schritt und ordnet den Glauben selbst in die Evolution ein, zunächst nur auf seinem Schreibpapier: Darwins Autobiografie wurde zu seinen Lebzeiten nicht publiziert. Als es dann daran ging, hatten seine tiefgläubige Frau Emma und einer seiner Söhne die Fäden in der Hand. Bei der Lektüre schluckt Emily alles bisher Zitierte, aber dann kommt eine Passage, in der Darwin den „Glauben von Kindern an Gott“ mit der „instinktiven Furcht eines Affen vor einer Schlange“ vergleicht.

Nun greift Emma zum Stift und schreibt an den Sohn: „Ich möchte diese Sätze streichen, weil die Meinung deines Vaters, dass alle Moral aus der Evolution kommt, mich schmerzt. Es gibt einem einen Schock und würde erlauben zu sagen – wie ungerechtfertigt auch immer –, dass er allen spirituellen Glauben nicht höher einschätzt als erbliche Aversionen wie die Furcht der Affen vor Schlangen.“ Das wurde erst 1958 publiziert.

Morgen ist Darwins 200. Geburtstag, die Serie endet heute. Sie begann mit Darwins Lieblingstier, dem Regenwurm (23.1.), tastete sich über sein Familienleben und sein Erschrecken über die Feuerländer an seine Person (24.1., 27.1.), kam zum Werk: Es ging um die Vögel, die den Anstoß gaben (29.1.), es folgten Mechanismen und Triebkraft der Evolution (31.1., 6.2.); es ging zurück zur Person mit hoher Empathie (7.2.), es ging nach vorn zur Evolution heute (10.2.); ein Zwischenspiel thematisierte Darwins wenig ausgeprägtes Verhältnis zur Kunst (5.2.). jl

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2009)

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