Islam: Die Republik schaut nicht mehr weg

Das Unterrichtsverbot für einen Islamlehrer ist ein Paradigmenwechsel – der für alle Konfessionen gilt.

Ja, darf sie denn das? Darf eine Ministerin einfach mit der bisherigen Rechtsauffassung, dass der Staat sich in den Religionsunterricht nicht einzumischen habe, plötzlich brechen? Ja, natürlich darf sie. Wenn ihre Argumente gut genug sind (und sie natürlich den Rahmen der Gesetze nicht verlässt). Als Unterrichtsministerin ist sie schließlich dafür verantwortlich, was in Österreichs Schulen gelehrt wird. Und ein islamischer Religionslehrer, der Antisemitismus predigt, hat dort schlicht und einfach nichts verloren. Antisemitismus? Ja, das Verteilen von Flugblättern mit Listen angeblich jüdischer Unternehmen, verbunden mit der Aufforderung, bei diesen Firmen nicht einzukaufen, kann nur als Ausfluss eines Antisemitismus qualifiziert werden. Gaza-Konflikt hin, Religionsfreiheit her.

Dass Feuer am Dach war, lässt sich ja schon daran erkennen, dass der betreffende Lehrer auch nach Bekanntwerden der Vorfälle noch immer unterrichtete, gestern erst zwei Unterrichtsstunden abhalten hätte sollen – ehe die Nachricht vom Entzug der Unterrichtserlaubnis den Schuldirektor erreichte.

Wie das passieren kann? Ganz einfach, indem sich die Islamische Glaubensgemeinschaft wie üblich defensiv verhält, den Lehrer ein bisschen tadelt und sich sonst auf den Rechtsstaat beruft – dass nämlich erst einmal die Schuld des betreffenden Lehrers in einem Disziplinarverfahren festgestellt werden muss. Unschuldsvermutung, ja natürlich. Aber so, wie es im Rechtsstaat bei „Gefahr im Verzug“ Maßnahmen gibt, die bis zur Klärung der Schuldfrage dafür sorgen, dass es zu keinem erneuten Vorfall kommt, gibt es auch in der Schule entsprechende Möglichkeiten.

Ein simples vorläufiges Unterrichtsverbot, ausgesprochen von der Islamischen Glaubensgemeinschaft, wäre da schon etwas wert gewesen. Und der Stadtschulrat? Der verwies sichtlich verzweifelt auf die Rechtsauffassung, die das Recht auf Einstellung und Absetzung eines Religionslehrers bei den Religionsgemeinschaften sieht. Und dass man nicht mehr tun könne, als den Lehrer abzumahnen.

Angesichts dieser scheinbaren Machtlosigkeit, derartiger Umtriebe an Schulen Herr zu werden, war es für das Unterrichtsministerium also geradezu eine Verpflichtung einzuschreiten – und dabei den Tabubruch in Kauf zu nehmen, dass der Staat in Bereiche eingreift, von denen er bisher die Finger gelassen hatte. Ein Bruch mit einer Praxis, der allerdings voll und ganz auf dem Boden der Verfassung stattfindet – und sich auch explizit auf sie beruft. Immerhin, so die Argumentation aus dem Ministerium, widerspricht die Aufforderung, nicht bei Juden zu kaufen, den in der Bundesverfassung enthaltenen Wertvorstellungen, die für alle österreichischen Schulen festgeschrieben sind. Und das Religionsschulgesetz sieht bei „Gefahr im Verzug“ sehr wohl ein Unterrichtsverbot vor. Voilà, so einfach kann das gehen. Im Übrigen ist diese Rechtsauffassung auch ein guter Wink in Richtung all jener, die bei jedem Anlass reflexartig und öffentlichkeitswirksam nach neuen, strengeren Gesetzen schreien. Oft reicht es schon, die bestehenden Regelungen konsequent umzusetzen.

Was bedeutet dieser Paradigmenwechsel im Umgang des Staates mit dem Religionsunterricht? Nun, die Folgen könnten weitreichend sein. Denn ein (juristisch unterfüttertes) Machtwort aus dem Ministerium ist deutlich mehr wert als eine zahnlose Ermahnung vom Stadtschulrat, die in den jeweiligen Religionsgemeinden maximal empfehlenden Charakter hat. Stadtschulrat und Islamische Glaubensgemeinschaft gehen von einem Einzelfall aus. Doch mit einem Blick auf die jüngste Studie über Islamlehrer, der zufolge jeder Fünfte die Demokratie als mit dem Islam unvereinbar sieht, ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass das Ministerium das eine oder andere weitere Mal wird einschreiten müssen.

Allerdings: Eine reine „Lex Islamlehrer“ ist das nicht. Weitergedacht darf der Staat in Hinkunft nicht weghören, wenn Vertreter anderer – auch christlicher – Glaubensgemeinschaften im Unterricht Standpunkte vertreten, die mit den Grundwerten der österreichischen Gesellschaft nicht übereinstimmen oder ihr diametral entgegenstehen. Dazu gehört eben nicht nur das Bekenntnis zu Demokratie, Verfassung und Rechtsstaatlichkeit, sondern auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Oder das Verbot von Diskriminierung aufgrund gleichgeschlechtlicher Neigungen. Genau dabei könnte sich so mancher katholische Pädagoge schwertun.

Islamischer Religionslehrer suspendiert Seite 1

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2009)

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