Noch nie hat das Engagement von immer öfter auch theologisch erstklassig gebildeten Laien so sehr „die Kirche“ ausgemacht.
Österreich ist ein durch und durch katholisches Land. So oder in ähnlich lautenden Variationen ist es bei Thomas Bernhard häufig zu lesen. Hat er auch heute noch recht? Doch, er hat.
Wie sonst ist zu erklären, dass die Ernennung eines einfachen Landpfarrers zum Hilfsbischof einer Diözese das gesamte Land in helle Aufregung versetzt? Dass es derzeit zwar auch eine lebhaft geführte Debatte über Demokratieverständnis und Wertekanon islamischer Religionslehrer, nicht aber der Kollegen von der katholischen Fraktion gibt. Dass es keinen Politiker von Gewicht geschweige denn eine ernsthafte politische Gruppe gibt, die auch nur ernsthaft die Sonderstellung der katholischen Kirche (und die daraus resultierenden Privilegien anderer Religionsgemeinschaften) anzutasten wagt.
Dass die Republik dem Botschafter jenes Papstes, der die öffentlich so heftig bekämpfte Bischofsentscheidung persönlich und sehr bewusst getroffen hat, das Große Goldene Ehrenzeichen zum Abschiedsgeschenk macht. Dass dabei das Staatsoberhaupt den überraschten Apostolischen Nuntius nicht ganz der Etikette entsprechend innig umarmt. Dass eben jener Bundespräsident, der bekennender Agnostiker ist, seinen Schreibtisch in der Hofburg mit einem Bildnis Kardinal Franz Königs zieren lässt. Dass die Regierung erst vor wenigen Tagen angekündigt hat, einen von katholischen Emissären unterbreiteten Wunsch zu verwirklichen, den Absetzbetrag für den Kirchenbeitrag zu verdoppeln. Dass der Vatikan einen Ortsbischof für Österreich überhaupt erst dann ernennt, wenn der Ministerrat keine Einwände politischer Natur erhebt. Dass ein SP-Bürgermeister nach Protesten Kreuze in Kindergärten aufhängen lässt. Dass...
Ja, die Zahl der Katholiken nimmt in Österreich seit drei, vier Jahrzehnten einmal weniger, dann wieder mehr ab. Aber eine satte Zwei-Drittel-Mehrheit der Österreicher zahlt weiter den Kirchenbeitrag – bei dessen Einhebung, nebenbei bemerkt, der Staat durch Überlassung der Meldedaten sehr hilfreiche Dienste leistet. Und die katholische Kirche bleibt mit ihren 5,6 Millionen Mitgliedern der mit gehörigem Respektabstand größte „Verein“ des Landes.
Ja, die Kirchen präsentieren sich immer leerer. Aber immer noch besuchen 800.000 eine Messe, Sonntag für Sonntag, Feiertag für Feiertag – eine Mobilisierungskraft, von der andere Organisationen nicht einmal träumen.
Ja, auch die Zahl der Österreicher, die zum Priester geweiht werden, geht zurück. Aber noch nie hat das (unbezahlte und auch unbezahlbare) Engagement von immer öfter auch theologisch erstklassig gebildeten Laien so sehr „die Kirche“ ausgemacht. War das nicht auch und gerade eine der Intentionen des Zweiten Vatikanischen Konzils?
Ja, auch die Frauen- und Männerorden leiden unter großteils massiven Nachwuchsproblemen. Aber die Stifte und Klöster verfügen neben ihrer zentralen spirituellen und hervorragenden kulturellen, historischen Bedeutung auch über eine hohe wirtschaftliche Potenz, die weit in die Regionen ausstrahlt.
Ja, die Stimme der katholischen Kirche ist in vielen Bereichen kaum verständlich und leise geworden. Aber die Taten, die sie in und durch Caritas, Hospizbewegungen, katholische Kindergärten, Schulen, Hochschulen und, und, und für die gesamte Gesellschaft erbringt, sind unverzichtbar. Österreich ist eben ein durch und durch katholisches Land.
Es gibt Schlimmeres.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2009)