Viel weniger, als es scheint

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Selbst in den Dörfern hat der Katholizismus heute seine Stellung als Taktgeber für die guten Sitten verloren.

Die Fassade einer im öffentlichen Leben mächtigen Kirche bröckelt, aber glänzt noch. Vom Kardinal in der ORF-Pressestunde bis zur Florianimesse der Feuerwehr ist das Bild ungetrübt. Doch die gesellschaftlich prägende Kraft hält da nicht mehr mit: Von Bioethik über Asyl bis Familienrecht kommen Kirchenpositionen nur noch dann zum Tragen, wenn sie ohnehin Mainstream sind. Und selbst in den Dörfern hat der Katholizismus heute seine Stellung als Taktgeber für die guten Sitten verloren.

Gut: kein „katholisches Land“ mehr – aber doch wohl noch ein Land der vielen Katholiken? Auch nicht unbedingt. Sicher: Es gibt noch rund 5,6 Millionen Kirchenmitglieder. Die Pfarren existieren noch flächendeckend, und viele Tausende engagieren sich für die Kirche oder – in ihr – für soziale Anliegen. Aber: Nur 53 Prozent der „Katholiken“ glauben an Gott. Nur für ein Drittel ist Christus der Sohn Gottes. An den Himmel glauben 23Prozent. Nur 18Prozent beten regelmäßig (Quelle: IMAS, 2007). Und da haben wir noch nicht einmal über spezifisch Katholisches gesprochen, also über das, was einen Unterschied zu anderen christlichen Konfessionen darstellen würde, zum Beispiel das innige Verhältnis zur Eucharistie, die Marienverehrung oder die Treue zum Papst. Nüchtern festgestellt: Sehr katholisch ist die österreichische Katholizität nicht gerade. Jedenfalls nicht römisch-katholisch.

Genau das ist aber auch der Grund, warum eine moderne säkulare Gesellschaft wie die österreichische, die zu 89 Prozent nur noch selten ein katholisches Gotteshaus von innen sieht, immer noch so gut mit einer Institution wie der römisch-katholischen Kirche auskommt und ihr eine Sonderstellung einräumt: Weil sie nicht stört.

Damit könnte es aber schrittweise zu Ende gehen. Gewisse offizielle kirchliche Positionen sind jetzt schon für weite Teile der Gesellschaft unannehmbar geworden. Und werden es wohl noch mehr, wenn Rom weiter auf „Authentizität“ setzt (womit man dort sicher nicht die Aufweichung unbequemer Positionen meint). Eine Institution, die so etwas wie ein Jesus-Christus-Fanklub bleiben will, wird aber in jedem Fall in zunehmendem Konflikt mit einer wachsenden Bevölkerungsmehrheit stehen, die bei der Idee, das „Leben in Fülle zu haben“, wenn man Christus nachfolgt, die Stirn runzelt oder gar an selbige tippt.

So ist abzusehen, dass die Vorzugsposition, die die Kirche heute im Staat noch hat, verstärkt infrage gestellt werden wird. Der Religionsunterricht in der staatlichen Schule, die Kreuze im Kindergarten, katholische Fakultäten an staatlichen Universitäten – all das ist nicht auf Dauer garantiert. Auch, weil zunehmend der Islam ähnliche Rechte einfordern wird, die man ihm nicht geben wollen wird.

Die Kirche kann dies als Chance erkennen. Derzeit leidet sie ja auch darunter, dass – nach so vielen Jahrhunderten als obrigkeitliche Macht – ihre Empfehlungen zur Lebensgestaltung immer noch als Gängelungsversuche missverstanden werden und sie andererseits als geschätzter Garant rot-weiß-roter Kulturidentität und Gütesiegel für österreichische Bürgerlichkeit von ihren eigentlichen Aufgaben abgelenkt wird.

Jedes Anstrichs der „offiziellen Religion“ entkleidet, könnte es ihr leichter fallen, den Menschen zu vermitteln, was das Frohe an ihrer Frohen Botschaft ist. Die Erkenntnis, dass es mit dem Katholischen in Österreich viel weniger weit her ist, als es scheint, wäre auf spannende Weise „ernüchternd“: Nach Kopfweh und Kater kommt eine Zeit erneuerter Vitalität.

Es gibt Schlimmeres.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2009)

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