Die Kirche muss konservativer werden

Wirklich bewahrend ist die Kirche nur, wenn sie die eigene Tradition und die der Aufklärung weiterträgt.

Die Krise, in der sich die österreichische Kirche ziemlich unerwartet wiederfindet, verdankt sich in erster Linie dem Zufall: Wäre die Ernennung des Windischgarstner Pfarrers Gerhard Maria Wagner zum Linzer Weihbischof nicht zeitgleich mit dem Versagen der vatikanischen Bürokratie in Sachen Wiederaufnahme der Pius-Brüder erfolgt, wäre die Aufregung bei Weitem nicht so massiv ausgefallen.

Denn bei Licht betrachtet handelt es sich dabei um eine Fehlbesetzung, die im Rahmen des Erwartbaren liegt: Sehr viel mehr intellektuelle und theologische Brillanz als Weihbischof Wagner muss man auch etlichen neueren Mitgliedern der Bischofskonferenz nicht unterstellen.

Dass jemand, wenn er die Möglichkeit dazu hat, lieber Buben als Mädchen im Ministrantendienst sieht, ist nicht wirklich ein Skandal, auch wenn man andere pastorale Vorstellungen haben mag. Dass ein Priester in seiner Verkündigung den strafenden Gott des Alten Testaments stärker hervorhebt als den liebenden des Neuen und kokett betont, dass es den „lieben“ Gott in der Bibel gar nicht gibt, muss auch niemanden erregen: Mit dem inhaltlich vollkommen korrekten Hinweis auf die Nichtexistenz des „lieben Gottes“ schockieren aufgeweckte Theologieprofessoren schon seit Jahrzehnten ihre frommen Studenten.

Betrachtet man die „Causa Wagner“ isoliert, so zeigt sich also nur, dass die kirchlichen Headhunter nach wie vor nach einem unvollständigen Anforderungsprofil rekrutieren: Die entscheidende Frage, ob ein Kandidat dazu in der Lage ist, die Positionen der Kirche, auch und vor allem jene, die gerne als „konservativ“ oder gar „reaktionär“ denunziert werden, auf der Höhe der Zeit kommunizieren zu können, scheint dabei keine Rolle zu spielen.


Das Problem ist ja nicht, dass Gerhard Maria Wagner wirkliche Extrempositionen beziehen würde. Das Problem ist, dass ihm der Wille und/oder die Fähigkeit abgeht, seine Positionen im Rahmen eines ernst zu nehmenden intellektuellen Diskurses zu erörtern. Priester und Bischöfe mit konservativen Ecken und Kanten sind ja nicht nur kein Schaden, sondern sogar eine unabdingbare Notwendigkeit für die Kirche von heute. Es macht aber einen Unterschied, ob man dazu in der Lage ist, die zweifellos vorhandenen Wechselwirkungen zwischen dem viel zitierten „Wertewandel“ und den negativen Entwicklungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt zu diskutieren, oder ob man wie ein nicht mehr ganz nüchterner Stammtischbruder über die Flutkatastrophe von New Orleans als Strafe Gottes für die Extravaganz der dortigen Bordellszene schwadroniert. Kurzum: Wer sich, wie die Kirche, aus Gründen der Wahrhaftigkeit zu einer Existenz „gegen die Welt“ und ihren Zeitgeist entschließt, braucht Führungspersonal, das fähig ist, diese Auseinandersetzung auf höchstem Niveau zu führen.

Die Gleichzeitigkeit von Wagners Ernennung und den Auseinandersetzungen rund um den Holocaust-Leugner Richard Williamson und die Pius-Bruderschaft ist Zufall. Was die beiden Anlässe der Krise verbindet, ist die Frage, ob die Zukunft der Kirche eher in einer noch stärkeren Betonung des Konservativen oder in einer „Liberalisierung“ inklusive Lockerung der Sexualmoral, Aufhebung des Pflichtzölibats und Frauenpriestertum liegt.


Wer darauf eine Antwort geben will, muss sich darüber klar werden, was er meint, wenn er „konservativ“ sagt. Wenn man darunter versteht, dass die Kirche angesichts der demografischen Prozesse, die wir seit Langem beobachten, sich in Zukunft noch stärker als Hüterin der europäischen Identität versteht, kann man nur sagen: Ja, die Kirche muss noch konservativer werden, sie muss ihre Rolle als Bewahrerin dieser Identität noch stärker spielen. Ihre Aufgabe ist aber nur zur Hälfte erfüllt, wenn sie sich aller Häme zum Trotz zu ihrer Unzeitgemäßheit in Dogma und Sittenlehre bekennt. Die andere Hälfte besteht darin zu zeigen, dass es möglich ist, seine religiöse Identität in einer säkularen Umgebung zu bewahren. Es geht nicht darum, die „Gefahr“ des Islam „abzuwehren“. Wie denn auch? Es geht darum, deutlich zu machen – und auch von den Muslimen zu verlangen –, dass zu einer europäischen Identität neben der Bewahrung der eigenen religiösen Tradition die Bereitschaft und Fähigkeit gehören, die Aufklärung zu integrieren.

Erst wenn ihr das gelingt, ist die Kirche konservativ, also das Europäische bewahrend, genug. Ein wirklich konservativer Mensch hat keine Mühe, mit der Forderung nach Reformen entspannt und offen umzugehen. Er weiß, wann er Teile loslassen muss, um das Ganze zu bewahren.


michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2009)

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