Nachdenken nach dem Fall Wagner

Warum kommt die Kirche eigentlich immer so
oberlehrerhaft daher, wenn sie über Moral spricht?

Der Fall Gerhard Maria Wagner ist bemerkenswert: Alle Seiten haben beigetragen, ein unattraktives Bild von Kirche zu zeigen. Da war zum Beispiel der Vorgang der Bestellung, bei der offenbar nicht der Tradition entsprochen wurde, einem Bischof dessen Wunschkandidaten zur Seite zu stellen. Selbstverständlich kommentarlos, denn über Bischofsernennungen erfährt man in der Regel offiziell ja bloß zwei Worte: Vor- und Nachnamen.
Undiplomatisch war auch die Kür Wagners an sich. Linz ist jene Diözese, in der der Streit zwischen „Progressiven“ und „Konservativen“ so zugespitzt ist, dass es zwei Kirchenzeitungen, zwei Kirchenbeitragsboykottgruppen und zwei Priesterklubs gibt. Da war es nicht unbedingt die beste Idee, einen prononcierten Vertreter eines der beiden Lager zum Weihbischof zu machen. Entsprechend heftig fiel die professionell orchestrierte Reaktion aus. Die drei alten Textstellen, die den neuen Weihbischof desavouieren sollten – Tsunami, Katrina, Harry Potter – waren ja nur seelsorgliche Nebenfronten. Im Hintergrund ging es eher darum, dass die experimentierfreudigen Pfarrväter fürchten mussten, dass der Linzer Bischof mit Wagner als Hardliner an der Seite stärker auf die Einhaltung des Kirchenrechtes pochen würde. Stichworte: Laientaufe und Laienpredigt. So kam es, dass wackere Dechanten mit dem Argument, er sei kein Brückenbauer, dem künftigen Weihbischof den Brückenschlag verweigerten.
Darüber hinaus ging es aber noch um etwas anderes: um die Sorge vieler Katholiken, wie sie vor der Welt dastehen. Nur deshalb hat überhaupt die Besetzung einer so relativ unbedeutenden Funktion wie die eines Weihbischofs in Linz die ganze Nation so bewegt, dass man auch in Neusiedl oder Bludenz den Kirchenaustritt überlegt. Weil sich Christen ohnehin vielfach leicht lächerlich vorkommen und daher besonders darunter leiden, wenn ihre Galionsfiguren Anlass zum Spott geben.
In einer Reihe eher unbedachter Interviews hat Gerhard Maria Wagner diese Befürchtungen bestätigt. Da mag noch so sehr der Erfolg in seiner eigenen Pfarre dafür sprechen, dass er wohl zum Brückenbauen fähig sei und im direkten Gegenüber auch die erlösende Schönheit seiner Kirche den Menschen zu vermitteln vermag: In der Mediengesellschaft fiel er peinlich auf.
Irgendwann in dem ganzen Prozess hat irgendjemand erkannt – egal ob Pfarrer Wagner selbst, die Kurie in Rom oder der Kardinal in Wien –, dass die Kirche zwar immer anecken wird und auch muss, aber vielleicht doch nicht so. Dass es daher den ganzen Krach in der Linzer Diözese nicht rechtfertigt, die Ernennung Pfarrer Wagners durchzuziehen. Was bleibt, ist, bei aller Schützenhilfe, die Wagner seinen Gegnern geleistet hat, auch das ungute Gefühl, dass da einer fertiggemacht worden ist.

Für die Kirche gilt es jetzt darüber nachzudenken, warum auch viele Kirchenferne, denen das alles ja egal sein könnte, so allergisch reagiert haben. Wenn ein Pfarrer Wagner, der es im Kleinen, in seiner Pfarre, vielleicht rüberbringt, über seelisches Heil zu sprechen, beim selben Versuch in der Öffentlichkeit so klingt, als würde er die Menschen in Gut und Böse, in erwünschte und unerwünschte Kirchgänger und Kommunionempfänger einteilen und „kranke“ Homos aufrufen, sich gefälligst therapieren zu lassen – was läuft da schief?
Was den Umgang der Kirche mit ethischen und moralischen Postulaten betrifft, ist noch viel Nachdenkarbeit nötig. Einst vertraten Gesetzgeber, Schule, Elternhaus und in weiten Teilen auch die Kunst dieselbe Ethik und Moral wie die Kirche. Heute ist das auseinandergefallen. Ein Reflex darauf ist, der Kirche zwar weiterhin eine Rolle als moralische Anstalt der Nation zuzuweisen – aber nur, wenn sie die öffentlich approbierten Moralvorstellungen vertritt. Der andere Weg wäre, nicht den Inhalt katholischer Positionen zu verändern, sondern die Form des Vorbringens: Im Ursprung waren die Lebensregeln, die die Kirche formuliert, ja auch nicht Benimmregeln für die ganze Gesellschaft, sondern Antworten auf jemanden, der in seinem Leben einen liebenden Gott entdeckt hat und nun wissen will, wie er auf diese Liebe am besten reagiert.

Diesen Weg zu gehen ist keine kleine Aufgabe. Eine postchristliche Gesellschaft wird sich aber zu Recht keinen anderen Weg bieten lassen. Sie sollte es aber auch aushalten können, wenn eine überwiegend katholische Kirche an dem festhält, was sie für die besseren Lebensregeln hält. Der Modus Vivendi dafür ist noch nicht gefunden. Der Fall Wagner ist ein Katalysator dafür.


michael.prueller@diepresse.com

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