Afghanistan: Zahl ziviler Gewaltopfer drastisch gestiegen

Todesopfer Afghanistan
Todesopfer Afghanistan (c) AP (Hasbanullah Khan)
  • Drucken

Im Jahr 2008 wurden 2118 Menschen von Aufständischen oder Streitkräften getötet. Dies ist ein Anstieg um 40 Prozent im Vergleich zu 2007. Extremisten setzen vermehrt auf Selbstmordattentate.

Die Zahl der zivilen Gewaltopfer in Afghanistan ist nach Angaben der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr um 40 Prozent gestiegen. Insgesamt wurden demnach 2.118 Menschen getötet - mehr als je zuvor seit dem Sturz der islamistischen Taliban vor gut sieben Jahren. Aufständische seien für 55 Prozent oder 1.160 der Todesopfer verantwortlich, US-, NATO- oder afghanische Truppen für 39 Prozent oder 829 Personen, teilten die UNO am Dienstag in Kabul mit. Rund 130 Todesopfer könnten keinem Verursacher zugeordnet werden, sie seien beispielsweise ins Kreuzfeuer geraten.

"Während sich der Konflikt zugespitzt hat, fordert er zunehmend mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung." Aufständische und Extremisten setzten vermehrt Selbstmordattentate und Bomben ein, "ungeachtet der Auswirkungen auf Zivilpersonen", hieß es in dem am Dienstag veröffentlichten jährlichen Bericht der UNO-Mission in Afghanistan (UNAMA) zum Schutz der Zivilbevölkerung. Trotz der Bemühungen der Streitkräfte habe auch die Zahl der von ihnen getöteten Unbeteiligten zugenommen. Die Zahl der Zivilpersonen, die Opfer von Streitkräften der USA, der NATO oder Afghanistans wurden, stieg laut UNO gegenüber 2007 um 31 Prozent.

Die hohe Zahl ziviler Opfer sorgt immer wieder für Spannungen zwischen der afghanischen Regierung und den internationalen Truppen. Zuletzt war beschlossen worden, bei Einsätzen der US-Streitkräfte mehr afghanische Soldaten zu beteiligen, um dabei zu helfen, zivile Opfer zu vermeiden.

Mangelnde Koordination

Eine US-Menschenrechtsorganisation erklärte in einem ebenfalls am Dienstag vorgestellten Bericht, die mangelnde Koordination der Bemühungen zum Schutz der Zivilbevölkerung sei "eine der Hauptquellen für Ärger und Vorbehalte" gegenüber den Streitkräften. "Die internationale Koalition in Afghanistan verliert mit jeder getöteten Zivilperson mehr Unterstützung in der Bevölkerung", erklärte die Kampagne für Unschuldige Opfer in Konflikten (CIVIC). Viele Familien erhielten zudem keine Entschädigung für den Verlust ihrer Angehörigen. US- und die meisten NATO-Truppen zahlen Familien von Opfern eine Entschädigung. CIVIC fordert jedoch, die NATO müsse für alle beteiligten Truppen einheitliche Standards festlegen.

Die UNO-Mission zeigte sich auch besorgt angesichts zunehmender Übergriffe auf humanitäre Helfer, die dadurch in ihrer Wiederaufbauarbeit im kriegszerstörten Afghanistan stark eingeschränkt würden. Im Jahr 2008 seien 38 humanitäre Helfer, meist von nichtstaatlichen Organisationen, getötet worden. Das seien doppelt so viele gewesen wie 2007. 147 Helfer wurden laut UNAMA im vergangenen Jahr in Afghanistan entführt. Dadurch zögen sich viele Hilfsorganisationen aus den als gefährlich geltenden Regionen zurück.

USA verstärken Truppen

Unterdessen haben die USA ihre Truppen in Afghanistan verstärkt. Rund 3.000 Soldaten, die im Jänner dort eintrafen, haben jetzt ihren Einsatz in den Provinzen Logar und Wardak begonnen. In beiden Regionen in der Umgebung der Hauptstadt Kabul gab es zuletzt Anschläge von Aufständischen. Die neuen Truppen sind die erste Welle einer umfassenden Verstärkung der US-Militärpräsenz in Afghanistan. US-Präsident Barack Obama werde bald entscheiden, wie viele zusätzliche Soldaten in das Land geschickt werden sollten, sagte Regierungssprecher Robert Gibbs am Montag. Die Militärführung hat die Entsendung von bis zu 30.000 zusätzlichen Soldaten ins Gespräch gebracht. Bisher sind 33.000 US-Soldaten in Afghanistan, rund 15.000 davon bei der internationalen NATO-Schutztruppe ISAF, die übrigen im Rahmen der internationalen Anti-Terror-Koalition Operation Enduring Freedom (OEF).

Die US-Armee teilte am Dienstag mit, bei einem Sprengstoffanschlag in der südafghanischen Provinz Kandahar seien am Vortag fünf Zivilisten getötet worden. Als US-geführte Koalitionssoldaten und afghanische Polizisten am Anschlagort eintrafen, sei es zu einem Gefecht mit Aufständischen gekommen. Dabei seien zwei Extremisten getötet worden. Das britische Verteidigungsministerium teilte mit, ein britischer ISAF-Soldat sei bei einem Schusswechsel in der südafghanischen Provinz Helmand getötet worden. Nach Angaben der US-Armee wurde in der westafghanischen Provinz Herat bei einem "Präzisionsangriff" ein Anführer der Aufständischen und weitere Extremisten getötet. Bei Gefechten in der südlich an Herat angrenzenden Provinz Farah seien fünf Aufständische getötet worden, teilten die amerikanischen Streitkräfte weiter mit. Nach Angaben der ISAF wurden im Zusammenhang mit einem Anschlag in der ostafghanischen Provinz Khost, bei dem eine Woche zuvor zwei US-Soldaten getötet worden waren, zwei Extremisten festgenommen. Bei der Durchsuchung des Verstecks der Aufständischen sei neben Waffen auch eine US-Uniform gefunden worden.

Die ISAF hat für 2008 weitaus weniger tote Zivilisten gezählt als die Vereinten Nationen. "Wir verfügen über die Zahl von 237 getöteten Zivilisten", sagte ISAF-Sprecher Martin O'Donnell. Es gebe verschiedene Methoden der Datenerhebung, fügte er hinzu. Die in Kabul ansässige unabhängige Organisation Afghanistan Rights Monitor (ARM) hatte im Jänner einen Bericht vorgelegt, demzufolge 2008 fast 4.000 Zivilisten in Afghanistan starben.

(APA)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Pakistan: Scharia in "Schweiz Asiens" eingeführt

Als Zugeständnis an die Taliban führt Pakistan im Swat-Tal das islamische Recht ein. Die USA fliegen gezielte Angriffe gegen Taliban im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet.
Richard Holbrooke, Hamid Karzai
Außenpolitik

USA und Afghanistan: Vereint im Kampf gegen Taliban

US-Gesandter Richard Holbrooke und der afghanische Premier Hamid Karzai vereinbaren eine engere Kooperation, um den Einfluss der Islamisten zurückzudrängen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.