Kunsttherapie für Gotteskrieger

TERRORISMUSBEKÄMPFUNG. In einem Rehabilitationslager in Saudiarabien sollen Islamisten auf den rechten Weg zurückgebracht werden. Das viel beachtete Projekt ist Teil einer „weichen“ Anti-Terror-Strategie der Saudis.

wien/riad. Bevor sie in Guantánamo Bay das Flugzeug besteigen, werden ihnen die Handschellen abgenommen. Auf dem Flug kümmern sich Ärzte um die Häftlinge, Psychologen und Mitarbeiter des Innenministeriums starten mit ersten Befragungen. 38 Stunden später landet das Flugzeug in der saudischen Hauptstadt Riad. Dort beginnt für die saudiarabischen Guantánamo-Heimkehrer die Rehabilitation.

In einer ehemaligen Ferienanlage hat die Regierung ein Zentrum eingerichtet, in dem islamistische Extremisten dazu gebracht werden sollen, der Gewalt abzuschwören – darunter jene Saudis, die die Amerikaner aus der Haft auf Guantánamo freilassen. Kern des Programms, das Teil einer „weichen“ Terrorbekämpfungsstrategie ist, sind religiöse Debatten. In Einzel- und Gruppengesprächen versuchen 150 islamische Geistliche, Gelehrte und Professoren, die Abtrünnigen auf den rechten Weg, sprich jenen des offiziellen, wahhabitischen Islam, zurückzubringen.


Irregeleitete Opfer

Die Crux dabei: Jihad ist in Saudiarabien grundsätzlich nicht verwerflich. „Sie werden einen saudischen Gelehrten nie dazu bringen, zu behaupten, der Islam verbiete den Jihad“, erklärt Christopher Boucek, Nahostexperte der US-amerikanischen Carnegie-Stiftung, der sich intensiv mit dem saudischen Programm beschäftigt hat. Allerdings gebe es Regeln für den Jihad, und vor allem auch Autoritäten, die allein befugt seien, zu entscheiden, wann der Heilige Krieg gerechtfertigt ist. Wer sich in der Reha wiederfindet, ist offenbar den falschen Führern gefolgt – ein irregeleitetes Opfer, das nun eine zweite Chance erhält.

Zu den religiösen Debatten kommen psychologische und psychiatrische Betreuung, Job-Qualifikationstraining und – Kunsttherapie. Damit sollen negative Emotionen zum Ausdruck gebracht werden. „In einer Kultur, die diese Art von Kunst weder kennt noch schätzt,“ findet Boucek, „ist das absolut bemerkenswert.“ Daneben gibt es für die Insassen handfeste soziale Unterstützung – oder für deren Familien. Die Regierung greift ihnen finanziell unter die Arme, kümmert sich aber auch darum, „dass die Kinder in die Schule gebracht werden oder die Eltern ins Krankenhaus“, so Boucek.

„Der Gedanke ist: Wenn wir es nicht tun, tut es womöglich jemand anders.“ Es sei durchaus vorgekommen, dass Extremisten den Familien der Gefangenen geholfen hätten. Dem will die Regierung tunlichst vorbeugen. Überhaupt ist es ihr wichtig, die Familien einzubeziehen: weil die Ex-Jihadisten ein neues soziales Netzwerk brauchen, am besten die Familie, mit der zuvor oft gar kein Kontakt bestand. Und weil die Familien in die Pflicht genommen werden. Boucek: „Die Regierung macht sie dafür verantwortlich, dass ihr Angehöriger nicht rückfällig wird.“


Hilfe bei der Brautschau

Das funktioniere – nicht zuletzt dank der Unterstützung, auf die man nur ungern verzichte. Erst unlängst hat Saudiarabien eine Liste der 85 meistgesuchten saudischen Terrorverdächtigen veröffentlicht. „Die meisten auf dieser Liste“, berichtet Boucek, „wurden von ihrer Familie den Behörden als verschwunden gemeldet.“

Auch nach der Freilassung können geläuterte Jihadisten auf die Regierung zählen. Sie hilft bei der Job- und Wohnungssuche, ermutigt die Männer, zu heiraten und zahlt bei Bedarf sogar die Mitgift. Das sei ähnlich wie bei anderen Rehabilitationsprogrammen, erklärt Boucek: „Die Leute sollen über diese Phase ihres Lebens hinweg gebracht werden und lernen, dass es andere Dinge gibt, für die es sich zu leben lohnt.“

Weltweit gilt das Programm als Vorzeigeprojekt. Knapp 3000 Jihadisten haben es bereits durchlaufen, 1400 wurden freigelassen, nur zwei bis drei Prozent sollen bisher rückfällig geworden sein. Auch die knapp 120 Guantánamo-Heimkehrer, die das Programm durchlaufen haben, waren unauffällig geblieben – bis jetzt:


Von der Reha zu al-Qaida

Im Jänner tauchte ein Video auf, in dem jemenitische al-Qaida-Führer ihren Zusammenschluss mit dem saudiarabischen Zweig verkündeten. Zwei der Männer im Video: Said al-Shiri und Mohammed al-Awfi, beide saudische Ex-Guantánamo-Häftlinge und Absolventen des Reha-Programms. (Al-Awfi soll sich mittlerweile wieder in saudiarabischem Gewahrsam befinden.)

Ganz abgesehen von den Guantánamo-Heimkehrern seien aber die wirklichen Kaliber meist noch gar nicht auf freiem Fuß, gibt Boucek zu bedenken. „Um wirkliche Aussagen über die Rückfallsquoten treffen zu können, braucht man jedenfalls mehr Zeit.“

Zudem zeige, so Boucek, der Fall der beiden Neo-al-Qaida-Größen vor allem eines: Den dringenden Bedarf eines einheitlichen Verfahrens, mit dem entschieden werden kann, wann ein Ex-Terrorist bereit zur Entlassung sei. Das gelte nicht zuletzt für jene knapp hundert Jemeniten, die noch in Guantánamo sitzen, und die angeblich noch in den nächsten drei Monaten in ihre Heimat überstellt werden sollen. Zwar hat die jemenitische Regierung angekündigt, ein Aufnahmelager nach dem Modell der Saudis vorzubereiten. „Doch ich war erst im Jänner dort“, berichtet Boucek. „Und da gab es noch nichts.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2009)


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