Reportage: Auf der Flucht vor Afrikas grausamster Miliz

Kind trägt Wasser
Kind trägt Wasser(c) AP (KAREL PRINSLOO)
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„Ärzte ohne Grenzen“ befürchtet, dass den Vertriebenen im Nordostkongo die Nahrung ausgeht.

Sie nahmen die Kinder, einige wenige Habseligkeiten und rannten um ihr Leben. Denn sie waren vorgewarnt. Unzählige Flüchtlinge aus der Umgebung waren in ihr Dorf Bunga geströmt und hatten furchtbare Geschichten erzählt: von Bewaffneten, die mit Magiern im Bunde seien und mit Macheten und Äxten jeden töten, den sie erwischen – Männer, Frauen, Kinder. Auch Joseph Selegi floh mit seiner Familie vor der „Lord's Resistance Army“ LRA, der „Widerstandsarmee des Herrn“.

Mit Feuer und Machete

Die wohl grausamste Miliz Afrikas verbreitet seit Monaten im Nordosten Kongos Angst und Schrecken. Allein im Februar überfiel sie 14 Dörfer. Der Führer der LRA, Joseph Kony, hat sich seine eigene krause Ideologie zusammengezimmert: aus afrikanischen Naturreligionen, Versatzstücken des Christentums und schierer Brutalität. Kony behauptet, er sei auserwählt, die „Herrschaft Gottes“ auf Erden zu errichten – mit Feuer und Machete.

Joseph Selegi und die anderen Menschen aus Bunga wollten diesem Wahn nicht zum Opfer fallen. „Wir marschierten Tag und Nacht, 60 Kilometer weit“, berichtet Joseph. Sie marschierten, bis sie die Stadt Dungu erreichten.

Dort lebt Joseph mit seiner Familie nun bei seinem Bruder Dieudonne. „Wir sind jetzt doppelt so viele Personen wie zuvor“, schildert Dieudonne. „Es ist unmöglich, für alle genug Essen zu finden.“ Früher zählte Dungu an die 60.000 Einwohner, jetzt sind 50.000 Vertriebene dazugekommen. In anderen Städten und Dörfern bietet sich dasselbe Bild.

Inzwischen werden die Lebensmittel knapp. „Wir sind besorgt. Wenn sich die Lage nicht bessert, müssen wir in den nächsten Wochen mit vielen Fällen von Unterernährung rechnen“, warnt Serge Pfister, Koordinator von „Ärzte ohne Grenzen“ in Dungu. Wegen der Überfälle der LRA können die Menschen nicht mehr ihre Felder bebauen. Damit verlieren sie die Möglichkeit zur Selbstversorgung und können keine Produkte mehr auf den Märkten verkaufen.

Auch von außen kommt nicht genügend Nahrungsmittelhilfe an. Wegen der ständigen Überfälle wird der Transport über die Straßen der Region immer gefährlicher. „Deshalb gelangen nur geringe Mengen an Lebensmitteln in Städte und Dörfer und die Preise dafür steigen“, berichtet Pfister. „In Dungu ist ein Laib Brot nun um die Hälfte teurer als vor einigen Monaten.“ Die steigenden Preise setzen alle unter Druck.

Sehnsucht nach Sicherheit

„Bisher lebten die meisten Vertriebenen bei Gastfamilien. Sie haben alles geteilt. Doch das wird immer schwieriger.“ In der Stadt Duruma seien viele Vertriebene von den Gastfamilien wieder weggeschickt worden. „Wir haben mit einer Frau gesprochen. Sie sagte, dass ihre Familie noch Glück hat. Denn sie haben noch einmal am Tag Reis zu essen.“

Mit einer solch mangelhaften Ernährung können Erwachsene einige Zeit durchkommen. „Für Kinder wird das aber rasch zum Problem.“ Wo nötig, müsse an die Menschen Nahrung verteilt werden. „Und es muss endlich Sicherheit für die Bevölkerung hergestellt werden“, fordert Pfister.

„Ärzte ohne Grenzen“ hatte bereits vor einigen Wochen der UN-Truppe im Kongo Monuc vorgeworfen, ihr Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung nicht zu erfüllen. Mehr Sicherheit wünschen sich auch Joseph Selegi und sein Bruder Dieudonne. Joseph, damit er in sein Dorf Bunga zurückkehren kann. Und Dieudonne, damit er wieder sein Feld bestellen kann. „Mein Feld liegt 22 Kilometer von Dungu entfernt“, sagt Dieudonne. „Ich wage mich aber nur noch selten dorthin.“ Denn irgendwo da draußen könnte die LRA auf ihr nächstes Opfer lauern.

www.condition-critical.org/de/

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2009)

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