Bach und die Quetsch'n

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360 Grad Österreich: In Salzburg fand die Akkordeon-WM statt. Über 200 Teilnehmer spielten Bach oder Vivaldi. Hören wollten das nicht viele.

Es gibt zweifellos seltsamere Weltmeisterschaften. Aber sicherlich nicht viele. „Pffff“, macht die Ziehharmonika nach dem letzten Ton, „Pffff“, machte auch der eine oder andere Zuhörer, als die minutenlange Darbietung vorbei war.

Gerade hat ein Pole Auszüge aus Bachs wohltemperiertem Klavier gespielt. Auf der Ziehharmonika! Das ist ungefähr so, wie wenn jemand „Highway to Hell“ von AC/DC auf der Blockflöte spielt. Natürlich kann man das machen, aber man sollte es nicht.

Eine Ziehharmonika – feiner als Akkordeon, weniger fein als Quetsch'n bezeichnet – kennt man eigentlich nur aus zwei Situationen: entweder auf einer Skihütte im Winter, wenn das Publikum schon gut mit Jagertee abgefüllt ist und sich in der Nähe kein Stromanschluss für die Heimorgel des Alleinunterhalters finden lässt. Oder wenn ein französischer Problemsänger sein Publikum zum Weinen bringen will.

In Salzburg aber fanden sich diese Woche gleich mehr als 200 Menschen aus 30 Nationen ein, um ihre Ziehharmonika außerhalb einer Alm oder eines Bistros zu spielen und sich bei der offiziellen Akkordeon-Weltmeisterschaft zu messen. Das ganze Salzburger Kongresshaus hallte von den Klängen Dutzender Harmonikas wider, trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – waren die Zuhörerreihen weitestgehend leer.

„Ich spiele selber gleich vor“, erklärt ein Mann, der im Europa-Saal weit hinten sitzt, seine Motivation, hier zu sein. „Ich habe schon vorgespielt“, sagt ein anderer. „Konkurrenzbeobachtung“, meint ein dritter. Nein, nicht ein Zuhörer hat sich finden lassen, der unten beim Eingang freiwillig und im Vollbesitz seinen geistigen Kräfte 40Euro für eine Tageskarte bezahlt hat.


20.000 Harmonikas. Natürlich darf man sich nicht lustig machen über Menschen, die mit großer Hingabe ein Instrument spielen, auch wenn es die Ziehharmonika ist. Sie investieren viel Zeit, üben täglich und oft stundenlang– mit, wie man in Salzburg gehört hat, zum Teil durchaus bemerkenswerten Ergebnissen – und schreiben klassische Stücke und Popsongs um, damit sie sie mit dem Akkordeon wiedergeben können. Kurz: Sie machen Musik, was lobenswert und gut ist, und sie haben eine private Leidenschaft, die ein wunderbarer Ausgleich zur Arbeitswelt ist und die wahrscheinlich auch erfolgreicher schützt vor einem Burn-out als Yogasitzungen. Aber warum ausgerechnet die Ziehharmonika?

„Mein Großvater hat mich dazu gebracht“, erklärt ein Jugendlicher. Für den Außenstehenden mag es ein wenig wie eine Schuldzuweisung klingen, ist es aber nicht. „Ich spiele gern, weil das Akkordeon so ein breites und vielfältiges Instrument ist.“ Es gebe wenig, das man darauf nicht spielen könne. Zu Hause trete er im Familienkreis auf, spiele zu Weihnachten oder bei Geburtstagsfeiern, manchmal auch für Freunde und Verwandte. Aber sonst – „es ist halt schwer, mit dem Akkordeon irgendwo mitzuspielen“. Ganz sicher nicht in der lokalen Musikkapelle, und auch die Zahl der Skihütten ist begrenzt.

Also übt der junge Mann allein in seinem Zimmer, spielt viele klassische Stücke ein und reist mit diesem Repertoire zur jährlich stattfindenden Weltmeisterschaft der Confederation Internationale des Accodeonistes. Die WM hat schon in Kanada stattgefunden, in Neuseeland, in China – und heuer ist sie eben nach Salzburg gekommen.

Wahrscheinlich ist der Mangel an Auftrittsmöglichkeiten der Grund dafür, dass so viele Teilnehmer zur Weltmeisterschaft reisen. Hier kann man hemmungslos spielen, zwar nicht vor großem Publikum, das noch dazu in erster Linie aus anderen Teilnehmern besteht, aber immerhin öffentlich. Jeder Teilnehmer hat bereits eine Staatsausscheidung für sich entschieden, und wer sich wundert, dass es so viele Akkordeonspieler gibt: Allein in Österreich werden pro Jahr etwa 20.000 Harmonikas produziert!

Die Ausscheidung in Salzburg zieht sich in acht Kategorien über mehrere Tage, es gibt sogar – eine Verneigung vor der Gastgeberstadt – eine eigene Kategorie für Mozart. Eine Jury bewertet Fingerfertigkeit, Technik, Kreativität und Musikalität. Ein wenig auch die Show, die der Spieler bietet – und wie ein Teilnehmer aus Italien zweifellos hofft: Er tritt im Partnerlook mit seiner Ziehharmonika an, beide in blau-rot gehalten. Die besten Spieler kommen übrigens aus China und Russland.

Für den Laien ist es schwer, die Nuancen herauszuhören, außer einer greift neben eine der bis zu 41 Tasten und 120 Bässe. Man ist allerdings ständig versucht, zur Musik zu schunkeln, selbst wenn es Mozart ist. Der Klang der Ziehharmonika hat scheinbar auf einen Österreicher eine ähnliche Wirkung, wie die Glocke auf den Pawlow'schen Hund.

Wer es ausprobieren will: Heute, Samstag, findet im Salzburg Congress das Finale statt, ab 19 Uhr ist Preisverleihung inklusive Auftritt des großen World Accordion Orchestra.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2014)

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