Kindergarten: "Das Thema Sexualität ist sowieso da"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Soll Aufklärung im Kindergarten stattfinden? Ministerin Heinisch-Hosek regt mit ihrer Ansage auf. Dabei ist Sexualpädagogik in Kindergärten längst Thema. Um Sex geht es da aber selten.

Wien. Sexerziehung im Kindergarten: Mit diesem Thema sorgte Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) jüngst für Aufregung: Sie sagte, Sexualerziehung könne nicht früh genug beginnen. Das Ministerium arbeite bereits daran, die Sexualpädagogik neu und modern zu gestalten.

1 Sexualerziehung im Kindergarten: Ist das eigentlich neu?

Nicht wirklich. Schon in einem Kindergartenbildungsplan aus dem Jahr 1975 findet sich Sexualerziehung als eigener Themenbereich, der im Kindergarten seinen Platz haben soll. Im aktuell gültigen Bildungsrahmenplan für Kindergärten (erarbeitet vor fünf Jahren) heißt es: „Die Entwicklung eines positiven, unbefangenen Verhältnisses zur Sexualität und zur eigenen Geschlechtsidentität ist Teil des sozialen und emotionalen Wohlbefindens. Sachrichtige Antworten auf kindliche Fragen beeinflussen die Einstellung zur Sexualität und tragen zur Prävention von Missbrauch bei.“

2 Wie läuft Sexualerziehung im Kindergarten derzeit ab?

„Ganz alltäglich“, sagt Heidemarie Lex-Nalis vom Dachverband Educare – und zwar immer entlang der Fragen der Kinder. „Man beantwortet Fragen, man macht keinen Unterricht.“ Olaf Kapella vom Institut für Familienforschung der Uni Wien sagt, dass ein stetes Begleiten wichtig sei. Aber: Gehe es um Themen wie Selbstbehauptung, könnten auch Workshops mit externen Pädagogen sinnvoll sein.

3 Sex und Aufklärung als Thema im Kindergarten – ist das notwendig?

Ein Gremium der WHO (dem Kapella angehört) empfiehlt die Sexualerziehung ab der Geburt. Da geht es freilich nicht um klassische Aufklärung, sondern um Körperbewusstsein, einen adäquaten Umgang mit Körperlichkeit und Gefühlen. Und um Antworten – das gilt eben auch für den Kindergarten. Da sei etwa die Frage typisch, wie ein Baby aus dem Bauch herauskommt. Da reiche die simple Antwort „durch die Scheide“, sagt Kapella. Sexualität umfassend zu erklären sei nicht nötig. Von sich aus an Kinder herantragen sollte man aber Themen wie Körperteile, Gefühle und Wahrnehmung. „Kinder brauchen eine Sprache für Sexualität, keine Details über Geschlechtsverkehr.“

4 Ist Sexualerziehung nicht ein Vorrecht der Eltern?

Weniger als die Hälfte der Österreicher – 47 Prozent – sehen Aufklärung laut dem aktuellen Frauenbarometer als Aufgabe für Bildungseinrichtungen. Nur zwölf Prozent der Befragten wollen bei Sexualerziehung im Kindergarten ansetzen, 36 Prozent ab der Volksschule, 41Prozent mit spätestens zehn Jahren und elf Prozent erst ab 14. Würden Eltern darauf bestehen, sich um die Sexualerziehung ihrer Kindergartenkinder selbst zu kümmern, müsse man das im Extremfall respektieren, sagt Birgit Hartel, die wissenschaftliche Leiterin des Charlotte-Bühler-Instituts. „Es ist aber unrealistisch, dass Kinder bis zur Volksschule nie in Kontakt mit irgendeiner Facette von Sexualität kommen“, sagt sie. „Und es ist ein Thema für Kinder.“ Gerade weil das für viele Eltern aber mit Ängsten verbunden ist, sei es wichtig, sie einzubeziehen, sagt auch Kapella: Etwa, wenn die Befürchtung bestehe, dass Kinder im Kindergarten sexualisiert würden. „Es geht darum, bei Themen, die ohnehin da sind und von den Kindern kommen, Fragen zu beantworten und Orientierung zu geben.“

5 Welche Rolle spielt frühkindliche Sexualpädagogik bei Prävention?

Von Eltern, so Kapella, komme oft der Wunsch, mit Kindergartenkindern das Thema Missbrauch zu behandeln. Und da setzt Sexualerziehung an: „Bei Kleinkindern geht es ja nicht darum, Sexualität in ihrer Gesamtheit zu erklären. Es geht darum, eine Sprache für Körperteile und Gefühle zu finden. Ein gutes Körperbewusstsein zu entwickeln.“ So lernt ein Kind wahrzunehmen und mitzuteilen, was ihm unangenehm ist oder – im schlimmsten Fall – was genau passiert ist.

6 Sind die Pädagogen dafür auch ausreichend ausgebildet?

Ein eigenes Fach gibt es in den Kindergartenschulen zwar nicht, der Bereich wird – neben der Sexualerziehung für die Schüler – in der didaktischen Ausbildung thematisiert. Hartel: „Wenn das von den Lehrenden ernst genommen wird, würde ich meinen, dass das ausreicht.“ Untersuchungen, wie das umgesetzt wird, gibt es nicht.

7 Gibt es in den heimischen Kindergärten Handlungsbedarf?

Ja, sagt Forscher Kapella. Wiewohl im Kindergarten kein Curriculum notwendig sei, sei es wichtig, „die Leute nicht alleinzulassen“. Er plädiert für eine Art Leitfaden für Sexualerziehung im Kindergarten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2014)

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