„Transparent“: Papa trägt Frauenkleider

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Auch die größten Kritiker des Onlineversandhändlers Amazon werden zugeben müssen: Die neue Serie „Transparent“ hat was – und ist ein klarer Angriff auf Netflix.

Es sind vor allem negative Schlagzeilen, mit denen der US-amerikanische Onlineversandhändler Amazon zuletzt aufgefallen ist. Mitarbeiterstreiks in Deutschland, globale Proteste gegen das Aussterben des Buchhandels und die Übernahme der US-amerikanischen Zeitung „Washington Post“ haben das Image des Konzerns beschädigt. Man ist zunächst also skeptisch zurückhaltend, wenn man hört, dass der Onlinesupermarkt jetzt auch Serien produziert.

Eröffnet wurden die Amazon Studios bereits 2010, seit gut einem Jahr werden Online-Serien wie die Polit-Comedy „Alphahouse“ beinah wie am Paketzustellungsfließband produziert (und bei Nichterfolg auch wieder eingestellt). Ende September ging die jüngste Streamingserie „Transparent“ online. Und bisher müssen auch die größten Amazon-Kritiker zugeben, dass dem Onlinehändler damit eine unterhaltsame Independent-Serie aus der Feder von Jill Soloway („Afternoon Delight“) gelungen ist.

Vordergründig geht es darin um Familienvater Mort Pfefferman (grandios gespielt von Jeffrey Tambor, bekannt aus den Serien "Arrested Development" und "Larry Sanders Show" und den "Hangover"-Filmen)  der mit fast siebzig Jahren beschließt, endlich offen als Frau zu leben. Der erste Anlauf, seine drei erwachsenen Kinder, allesamt in ihren Dreißigern, über sein weibliches Ich Mora aufzuklären, scheitert. Stattdessen erklärt er, er werde die Familienvilla im Westen von Los Angeles verkaufen. Die Kinder, die zuvor noch ungerührt spekuliert haben, ob ihr Vater an Krebs erkrankt sei, zanken sich um das Haus. Erst nach und nach erfahren die Kinder von seinem jahrzehntelang geheim gehaltenen Wunsch, sich als Frau zu geben. Wir Zuseher sehen in Rückblenden, wie er diesem Wunsch jahrzehntelang nur heimlich in Hotelzimmern nachgab. Nur seine Ex-Frau wusste von "dieser kleinen Sache", die er da hatte.

Schon bald wird klar, worum es in dieser Serie eigentlich geht: Während der Vater spät, aber doch weiß, wie er leben will, kämpfen seine Kinder in der Mitte ihres Lebens um den richtigen Platz. Ohne zu viel zu verraten, sei hier ein kleiner Abriss über die Hauptfiguren gegeben: Sarah, die älteste Tochter der wohlhabenden, jüdisch-säkularen Familie Pfefferman, vergrub nach dem Studium sowohl ihre lesbischen Neigungen als auch sämtliche berufliche Ambitionen im Vorgarten ihrer schicken Villa. Als zweifache Mutter und Ehefrau eines wohlhabenden Mannes und trotz Haushaltshilfe und Kindermädchen vom Hausfrauendasein überfordert, trifft sie auf ihre einstige Jugendliebe Tammy und verliebt sich Hals über Kopf in sie.

Intimes Familiendiagramm

Bruder Josh ist als Musikproduzent vor allem an seiner Karriere interessiert, hat aber Schwierigkeiten, sich länger an ein und dieselbe Frau zu binden. Was mitunter an dem ungesunden Verhältnis zu seiner ehemaligen Babysitterin liegen könnte, mit der er seit seinem 15. Lebensjahr eine sexuelle Beziehung hat. Nesthäkchen Ally ist zwar „out of the box smart“, wie ihr Vater sagt, „aber sie hat Schwierigkeiten, irgendwo anzukommen“. Ohne Job und ohne festen Partner schlittert sie durch ihren Alltag. Fans der Serie „Girls“ wird die Darstellerin der Ally als verrückte Schwester von Adam bekannt sein – Schauspielerin Gaby Hoffmann allein lohnt es, „Transparent“ anzusehen. Ein bisschen unrealistisch und deshalb ärgerlich ist bloß, wie schnell sich die Familienmitglieder daran gewöhnen, dass ihr Vater plötzlich als Frau auftritt; auch die Trennungen, Partnerwechsel und sogar eine Abtreibung gehen fast schon kalifornisch "easy" und ohne allzu große Szenen über die Bühne. So funktioniert  das im echten Leben selten. Wenn Tochter Sarah mit ihrem Dad, der jetzt eigentlich eine zweite Mum ist, am Poolrand sitzt und über "all those crazy things" spricht, lobt sie beiläufig den Nagellack auf seinen Fußnägeln: "Schöne Farbe". Bei der Kosmetikerin waren sie natürlich schon. Da geht es viel um Oberflächliches, wäre da nicht die Szene, als Mora und ihre Töchter zum ersten Mal gemeinsam auf die Damentoilette gehen und Mora von einer anderen Frau attackiert wird, die ihre halbwüchsigen, kichernden Töchter vor "diesem Perversen" schützen will. 

Auch wenn sich selten vorhersagen lässt, wie sich Serien entwickeln, steht jetzt schon fest: „Transparent“ wird sicher kein massentauglicher Hit wie der Fantasy-Mehrreiher „Game of Thrones“, der CIA-Thriller „Homeland“ oder die Adelsschmonzette „Downton Abbey“, dürfte aber jedenfalls Fixstarter bei der nächsten Emmy-Verleihung sein - und in Fortsetzung gehen. Staffel zwei ist längst fixiert.

„Transparent“ ist eine weitere unterhaltsame Visitenkarte des aufgeklärten, liberalen A-Schicht-Amerikas. Hier darf jeder leben, wie und lieben, wen er will, auch wenn manche – wie Familienvater Mort – erst mit siebzig Jahren ihren Neigungen folgen. Dem kommerziell orientierten Unternehmen Amazon darf man allerdings unterstellen, den Plot bewusst superliberal und provokant (mit vielen Sexszenen) angelegt zu haben, um Netflix Konkurrenz zu machen. Schließlich ist der Onlinesender in den USA nach dem Politdrama „House of Cards“ noch viel erfolgreicher mit der Frauengefängnis-Serie „Orange is the New Black“, in der die Hauptfigur lesbisch ist. Amazon legt nun mit einem Transgender-Papi, einer lesbischen Tochter und einem Sohn mit einem sexuellen Mutterkomplex nach.

„Transparent“ ist die Westküsten-Fortsetzung der Ostküsten-Serie „Girls“. Wie bei den fünf bis zehn Jahre jüngeren Mädchen aus Manhattan drehen sich die Figuren um die Frage: Wie soll man leben? Die hochgradig neurotische, aber lustige Suche der Darsteller nach der Antwort darauf, unterlegt mit einem sehr feinen Folk- und Rock-Soundtrack (u.a. mit dem passenden Song "Your Mess is Mine" von Vance Joy), gespickt mit lustigen Dialogen zwischen den Familienmitgliedern (grandios auch die Ex-Frau von Mort alias Mora Pfefferman) ist sehenswert. Mit Amazons Ausbeutung seiner Mitarbeiter und den Auswirkungen auf den Buchhandel muss man trotzdem nicht einverstanden sein.

Transparent. Zehn Folgen a 30 Minuten. Seit Mitte November alle Folgen auf Amazon Prime auch in Österreich abrufbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2014)

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