Ferrara: „Pasolini war so wandelbar, so sprunghaft“

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epaselect FRANCE DEAUVILLE FILM FESTIVAL 2014(c) APA/EPA/ETIENNE LAURENT (ETIENNE LAURENT)
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„Am Ende ist er der Meister“, sagt Abel Ferrara über Pasolini. Seinen Film über ihn hat er soeben bei der Viennale vorgestellt. Der „Presse“ erklärte er auch, warum er nicht bei Barack Obama um Geld anklopft.

Die Presse: Im Programmheft der Viennale werden Sie immer noch als Enfant terrible bezeichnet. Amüsiert Sie das?

Abel Ferrara: Jetzt kann ich es besser annehmen als früher. Damals wusste ich nicht, was das bedeuten soll.

Auch Pier Paolo Pasolini galt sein Leben lang als Unbequemer. Wann sind Sie zum ersten Mal mit seinem Kino in Kontakt gekommen?

„Decameron“ habe ich in meinen frühen Zwanzigern gesehen. Was für ein mächtiger Film! Diese kreative Energie, als wäre man von einer Handgranate zerrissen worden! Eine gewaltige Filmexplosion, eine irre Liebe für den ganzen Prozess, für die Schauspieler, für alles, was im Hintergrund geschieht.

Haben Sie sich Pasolini seelenverwandt gefühlt oder haben Sie eher zu ihm aufgesehen wie zu einem Lehrer?

Wenn man 20 ist, sagt man doch nicht: Oh wow, der Typ ist genau wie ich! Das ist angewandter Buddhismus, er ist unser Lehrer, wir sind seine Schüler. So einfach ist das. Natürlich hinterfragt man ihn auch. Aber am Ende ist er der Meister und wir sind seine Lehrlinge. „Pasolini“, mein Film, das war für mich der ultimative Test, um zu sehen, wieso gerade er so bedeutsam ist. Wir haben ja auch viele seiner Weggefährten und seine Familie getroffen. Ninetto Davoli, ein Pasolini-Schauspieler, spielt jetzt auch in meinem Film mit.

„Pasolini“ ist jetzt schon ihr fünfter Film mit Willem Dafoe. War es für Sie immer klar, dass er Pasolini sein soll?

Willem und ich hatten einen schwierigen Start bei „New Rose Hotel“. Aber dann, bei „Go Go Tales“ und „4:44 Last Day on Earth“, haben wir so richtig losgelegt. Weißt du, Mann, wir sind eine Band und er ist unser Sänger. Wir schreiben nicht ein Drehbuch und suchen dann nach dem Schauspieler. Den haben wir schon: Willem ist unser Schauspieler.

„Pasolini“ ist kein klassisches Biopic, mehr ein Mosaik. Wie haben Sie die Struktur der Erzählung entwickelt?

Bei einem Film hat man 90 Minuten, okay? Man kann versuchen, alles von der Frühzeit bis zur Unendlichkeit reinzustopfen oder eben nicht. Am Ende zeigt man 90 Minuten lang Bilder. Pasolini war so wandelbar, so fließend, so sprunghaft, den kann man nicht irgendwo festmachen.

In den vergangenen Jahren haben Sie vorwiegend Dokumentarfilme gedreht, wie „Chelsea on the Rocks“ oder „Napoli Napoli Napoli“. Wieso ist „Pasolini“ jetzt ein Spielfilm geworden?

Da ist doch kein Unterschied! In unserem Film sieht man seine Familie, seine Schauspieler. Man sieht, wo er gelebt hat. Das Haus ist sein Haus. Das Restaurant, in dem er isst, ist das Restaurant, in dem er immer gegessen hat. Willem trägt sogar seine Kleidung! Mehr Dokumentation geht doch gar nicht.

Sie haben auch Pasolinis letztes, nie verfilmtes Drehbuch, ausschnittweise nachinszeniert. Sie scheinen ziemlich furchtlos zu sein...

Wenn mir jemand meinen Kopf abschneiden will, habe ich Angst. Aber doch nicht bei einem Film. Da habe ich doch nichts zu verlieren. Wir machen, was wir lieben. Und da hat man keine Angst, da hat man im Gegenteil sehr viel Vertrauen in sich selbst. Da gibt es keinen verdammten Graubereich.

Die Idee, einen Film über Pasolini zu machen, hatten Sie schon länger.

In den Neunzigern wollte ich Zoë Tamerlis als Pasolini besetzen. Wir hätten ihn als Frau beim Cruisen durch New York City gezeigt. Nur sein Auto wollten wir gleich lassen, seinen Alfa Romeo.

„Pasolini“ wurde mit öffentlichen Fördergeldern aus Belgien, Italien und Frankreich finanziert. Eine neue Erfahrung für Sie als US-Filmemacher?

Wenn ich mir als Amerikaner vorstelle, dass ich bei Obama anklopfe und ihn um Geld für einen Film bitte! Das ist undenkbar. Dort regiert der reine Kapitalismus. Ich kann nicht zur Regierung gehen und sie bitten, mir meinen verdammten Film zu finanzieren. Aber das ist Amerika, Mann. In tausend Jahren werden sie es vielleicht verstehen. Eben, dass solche Filme wichtig sind, auch wenn sie das Geld nicht gleich wieder einspielen, und dass sie unterstützt werden müssen.

Vor wenigen Monaten ist „Welcome to New York“, Ihr Film über die Strauss-Kahn-Affäre, erschienen und jetzt „Pasolini“. Beide Filme erzählen von mächtigen Männern, die von ihren Obsessionen oder Leidenschaften zu Fall gebracht werden.

Macht korrumpiert ganz einfach, und das vollständig. Aber die Macht liegt immer bei Einzelnen und als Individuum muss man seine Handlungen hinterfragen. Ganz egal, ob man Tageszeitungen verkauft oder Chef der Weltbank ist.

Sie zeigen Pasolini häufig in stillen Momenten.

Wir wollten einfach zeigen, wie er wirklich war. Er hat bis zum Ende bei seiner Mutter gelebt – und hatte überhaupt kein Problem damit! Zu dem Zeitpunkt, an dem wir ihn zeigen, hatte er gerade „Die 120 Tage von Sodom“ beendet, schrieb an einem 1700 Seiten starken Roman und jede Woche einen politischen Text für eine Tageszeitung, hatte zwei komplett fertige Drehbücher: Diese ganze Scheiße passiert nicht einfach so. Dafür braucht man Zeit und vor allem Ruhe. Zumindest er hat das gebraucht, seine gewohnte Umgebung, eine gewisse Ordnung, seine Freunde. Nur gestorben ist er nicht zu Hause, sondern an einem Strand, wo er von einem Auto überfahren wurde. War es ein Unfall? War es Schicksal? Ich bin Buddhist. Für mich ist das alles Karma.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2014)

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