Jessica Hausners „Amour Fou“ erzählt vom Doppelsuizid des Heinrich von Kleist mit Henriette Vogel. Der Film ist kühl, fast surreal, Sittenbild einer verklemmten Gesellschaft.
Inständig bettelt Heinrich von Kleist (Christian Friedel) in Jessica Hausners neuem Film „Amour Fou“ um die Gunst seiner Cousine Marie: „Sie würden mich damit sehr, sehr glücklich machen!“ Doch das Werben bleibt vergebens, denn Kleists Argument ist reichlich paradox: Er sucht sein Glück im Suizid und will, dass jemand mit ihm – eher: für ihn – in den Tod geht. Nach einigem Hin und Her findet er in der wohlbehüteten, aber innerlich unerfüllten Landrentmeistersgattin Henriette eine halbwegs willige Partnerin. Auf dem Weg zu dieser Einigung, in deren Folge Kleist am 21. November 1811 zwei tödliche Schüsse abfeuert, zirkelt die österreichische Regisseurin die Konturen einer Gesellschaft ab, deren Verklemmtheit sich in ihrer Sprache ebenso niederschlägt wie in den Texturen ihrer Lebensräume.
Schauplätze der dialoglastigen Handlung sind überwiegend bürgerliche Interieurs. Bei Salonabenden wird Kammermusik gemacht, Konversation betrieben und Langeweile gepflegt. Dabei betont der Film in jeder Hinsicht die Künstlichkeit des Geschehens, steigert sie fast ins Surreale, um historische Authentizität geht es weniger. Die Menschen – deren Habitus so starr ist wie Martin Gschlachts stets ein wenig dezentrierte Kameraeinstellungen – werden in ihrer sorgfältigen Positionierung vor den bildfüllenden Maschendrahtgeflechten der Tapetenornamente zum Teil des Dekors.
Durchdringende Spießigkeit
Hier passt der Begriff „Guckkastenkino“ perfekt: Diese schummrigen Wohnzellen scheinen weder Zugang noch Ausweg zu haben, wirken fensterlos und luftdicht, gleichsam aus der Zeit herausgefallen. Verstärkt wird dieser Eindruck noch vom kühlen Digitallook und der kontrastierenden Anwesenheit einer Handvoll Haushunde, die sich in den Zimmern tummeln und trotz ausgesprochener Bravheit nicht so recht fügen wollen ins Biedermeier-Diorama. Die eigentümliche Farbgestaltung (sumpfgrüne Mäntel, rosa Säulen, Wände in Preußischblau) spießt sich zwar mit der durchdringenden Spießigkeit, ist aber als Kompensation doch nur deren Ausdruck.
In dieser beengenden Atmosphäre stößt die Unverblümtheit von Kleists Gesuch etwas an in Henriette Vogel (Birte Schnöink als welke Mimose), die sich als Eigentum ihres Ehemannes versteht und insgeheim neben ihren Schnittblumensträußen auch vage Befreiungsfantasien hegt. Ihre Persönlichkeit legt sie wie ihre Zeitgenossinnen in hipsterhafte Garderoben und zierliche Darbietungen von wehmütig-sehnsuchtsvollem Liedgut. Mit Mozarts „Veilchen“ in den Ohren klingen Selbsttötung und Selbstverwirklichung gar nicht mehr so verschieden, und nach anfänglichem Zögern stimmt sie dem verhängnisvollen Antrag zu – die unbestimmte Diagnose einer schweren Krankheit ist das Zünglein an der Waage.
Ihr Mann vermutet indes eine bloße Affäre und zeigt sich überraschend verständnisvoll für die Begehrlichkeiten seiner Frau. Überhaupt fungiert der von Stephan Grossmann nuanciert (und vergleichsweise locker) gespielte Landrentmeister als progressive Stimme der Vernunft: In seiner Funktion als hoher Beamter ist er die einzige Figur mit einem Draht zur Außenwelt und jenen politischen Prozessen, die im Begriff sind, den privilegierten Bürger- und Adelsständen das Wasser abzugraben.
Innen Triebgewitter, außen Manieren
Die wiederkehrenden Liebesverhandlungen zwischen Kleist und Henriette strukturieren die elliptische Erzählung, wobei die Ironie des Filmtitels deutlich wird: Innerlich mögen Triebgewitter toben, im platonischen Umgang merkt man nichts davon. Stattdessen gibt es offiziöses Schmachten, verkrampfte Zurückhaltung und eine passiv-aggressive Manier, die einem unangenehm vertraut vorkommt – gestelzte, leblose Sätze.
Die für Hausner typische Distanziertheit reduziert ihre Figuren manchmal auf Rädchen im filmischen Uhrwerk, benutzt sie zur Beweisführung anthropologischer Thesen. Ihr letzter Film „Lourdes“ stellte sich gar zu hoch über das leichte Opfer der Wallfahrtsindustrie. In diesem Fall scheint die Distanz aber schon in den Körpern und ihren Haltungen angelegt. In der zentralen Beziehung schwingt bei allem Kalkül und bei aller Kälte auch eine gewisse Zärtlichkeit mit. Und obwohl die letzten Augenblicke des Paars erwartungsgemäß unromantisch verlaufen und Hausner sich am Schluss eine zynische Pointe auf Henriettes Kosten nicht verkneifen kann, bleibt doch ein Restgefühl, dass irgendetwas an dieser fatalen Verstrickung wirklich „aus Liebe“ passiert ist.
„Amour Fou“ wird im Übrigen auch als Komödie lanciert. Wie komisch man den Film tatsächlich findet, hängt wohl stark davon ab, ob dessen Spannung zwischen umständlich verklausulierter (Sprach-)Form und ernstem Inhalt einen kitzelt oder nicht. Interessanter ist er ohnehin als verfremdetes Stimmungs- und Sittenbild, das durchaus aktuell ist: Es fällt den Figuren leichter, sich den eigenen Tod vorzustellen, als eine Änderung der Verhältnisse, die sie leiden lassen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2014)