Kobane: Die Mär von der mordenden Amazone

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Über 100 IS-Männer soll die junge Kurdin Rehana getötet haben: Legenden von kämpfenden Schönen sind alt, verbreiten sich aber heute leichter denn je. Sie machen Lust auf Krieg und das Grauen konsumierbar.

Die grausigen Taten der IS-Terroristen haben etwas so Apokalyptisches, dass es nicht verwundert, wenn Bilder göttlicher Rettungsaktionen aufkommen. So wurde letztens aus einer 28-jährigen Kurdin der „Engel von Kobane“. Ein Engel mit Waffe, anders als die friedlichen Engelsfrauen, wie man sie sonst aus Kriegszeiten kennt, etwa Krankenschwestern wie der „Engel von Auschwitz“, Maria Stromberger, oder der „Engel von Sibirien“, Elsa Brandström.

Rehana, wie sie sich nennt, hat dagegen eher etwas von einem Erzengel, der zum Jüngsten Gericht trompetet, einem weiblichen Racheengel. Über hundert IS-Kämpfer, hieß es in den letzten Wochen, habe sie selbst umgebracht. Gerüchte kursierten, sie sei von den IS-Terroristen gefangen, enthauptet worden. Schließlich ergaben BBC-Recherchen, dass die mit Victoryzeichen in die Kamera grinsende Kurdin Mitglied einer keineswegs an vorderster Front kämpfenden Bürgerwehr ist, einfach eine von vielen, vielen kurdischen Frauen. Durch den falschen Tweet eines Bloggers, der in den sozialen Medien weitergesponnen wurde, war sie zu einer Ikone des kurdischen Kampfes gegen den IS geworden.

Starke und sterbende junge Frauen

Ein falscher „Engel“, aber hochwillkommen. Das Bedürfnis nach weiblichen Kampf- und Widerstands-Ikonen ist enorm, das hat in den letzten Jahren der Arabische Frühling gezeigt. Produziert werden diese durch in den sozialen Medien verbreitete Bilder – etwa das Video, in dem die iranische Demonstrantin Neda angeschossen zu Boden sinkt. Über Nacht wurde die Tote ein Symbol der iranischen Opposition.

Natürlich geht es bei den Revolutionen im arabischen Raum auch um Frauenemanzipation. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum Bilder kämpfender Frauen so wichtig geworden sind. Jung und halbwegs hübsch müssen diese Frauen sein, dann verbreiten sie sich im Internet und werden zu lockenden Werbebildern.

Auffällig ist das Phänomen heute, neu ist es nicht, es existierte schon lang vor den Massenmedien. Marianne zum Beispiel, die Symbolfigur der Französischen Revolution, wurde vor allem über Bilder im Gedächtnis verankert. Ein Vorbild dafür war die junge Marie Deschamps, die auf den Barrikaden den Platz ihres gefallenen Bruders einnahm. Aber Marianne wurde ein Phantasma, ein nationales Freiheitssymbol. Nationen gaben sich überhaupt oft ein weibliches Gesicht. Amerika hatte Columbia (ein Pendant zum Entdecker Columbus), die dann durch die von Frankreich geschenkte Freiheitsstatue in Vergessenheit geriet. In all diesen Frauenfiguren lebten antike Göttinnen weiter – die Siegesgöttin Nike, die Freiheitsgöttin Libertas und die Göttin von Krieg und Frieden, aber auch Weisheit, Pallas Athene.

Für die blutrünstige, schreckliche Seite des Krieges war Pallas Athene nicht zuständig, die übernahm ihr Kollege Ares. In anderen Kulturen allerdings sind Kriegsgöttinnen um nichts besser oder schlechter als ihre männlichen Kollegen. Und auch die Kriegerinnen, von denen die Geschichtsschreibung und Legenden erzählen, benehmen sich meist kaum anständiger oder zartfühlender als ihre männlichen Kollegen. Trotzdem gilt bis heute: Frauen lassen Krieg einfach besser aussehen – ästhetisch wie ethisch. Deswegen sind sie als Symbolfiguren auch so beliebt, man vertraut ihnen eher. „Für Frauen ist Krieg immer Mord“, behauptete die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch 1985 in ihrem Buch „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“. Wenn Frauen also kämpfen, ist der Heiligenschein oft schon nah. Wer würde schon einen Krieg führenden Mann als „Engel“ bezeichnen?

„Meine Frauen sind Männer geworden!“

Geschichten von kriegerischen Frauen hatten aber quer durch die Zeiten auch noch einen anderen Zweck: Sie stachelten die Männer auf, indem sie sie als Feiglinge beschämten. Herodot erzählt, wie die Herrscherin von Halikarnassos Artemisia I. in der Schlacht von Salamis ihren Verbündeten, den Perserkönig Xerxes, zu dem Ausruf veranlasste: „Meine Männer sind Frauen geworden, meine Frauen Männer!“

Eine Ausgeburt des westlichen Orientalismus, eine „bizarre“ exotische Fantasie sieht die kurdische Aktivistin Dilar Dirik im Kult um Rehana. Kurdische Kämpferinnen gibt es seit Jahrzehnten, durch (kurdische) Propaganda werden sie nun PR-Amazonen.

Lara Croft im wilden Kurdistan

Ein bisschen erinnern sie an die in den letzten zwei Jahrzehnten beliebt gewordenen jungen Kriegerinnen in der westlichen Populärkultur, von Lara Croft bis zur Kriegerprinzessin Xena in der gleichnamigen Fernsehserie. Manche sehen in diesen Figuren den Ausdruck einer neuen „girl power“. Auch im arabischen Raum hat das Bild der jungen Kämpferin eine emanzipatorische Seite. Zugleich ist es aber auch eine Männerfantasie, wie die Amazonen in den antiken Mythen: Sie werden dort immer besiegt, aber im Alltagsleben waren sie als erotischer Aufputz auf Trinkbechern und Wandbildern sehr beliebt. Auch heute ist die kämpfende Schöne ein Gegenpol zu den Gräuelbildern – die konsumierbare Seite des Krieges.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2014)

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