Sudabeh Mortezais fulminanter Durchbruch

MACONDO
MACONDOFreibeuter Film
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Sudabeh Mortezai mied die Filmakademie, um sich ihre Kreativität zu bewahren. Ihr erster Spielfilm „Macondo“ gilt schlichtweg als Meisterwerk.

In Ludwigsburg als Tochter iranischer Einwanderer geboren, in Teheran aufgewachsen, mit zwölf nach Wien gekommen und beim Film gelandet. Dazwischen liegen Matura, das Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Wien und eine zweijährige Filmausbildung an der University of California in Los Angeles. „Dort habe ich elementare Dinge über das Filmemachen gelernt – und zwar quer durch alle Bereiche“, blickt Drehbuchautorin und Regisseurin Sudabeh Mortezai zurück.

„Alles andere habe ich mir im Wesentlichen selbst beigebracht. Ich bin Autodidaktin und bin mir nicht sicher, ob mir das rigide System einer Filmschule nicht sogar meine Kreativität ausgetrieben hätte.“ 2006 folgt ihre erste abendfüllende Dokumentation „Children of the Prophet“, die hervorragende Kritiken bekommt und in ganz Österreich im Kino läuft. Der zweite Dokumentarfilm „Im Bazar der Geschlechter“, der die im Iran weitverbreitete Praxis der Zeitehe beleuchtet, avanciert 2009 europaweit zum Festivalerfolg und ebnet Mortezai den Weg zum ersten Langspielfilm „Macondo“, der am 14. November ins Kino kommt und den vorläufigen Höhepunkt in der Karriere der 46-Jährigen markiert.

Erfolg bei Berlinale und Viennale

Die Geschichte eines tschetschenischen Buben in der Flüchtlingssiedlung Macondo in Wien-Simmering schaffte es unter anderem in den offiziellen Wettbewerb der diesjährigen Berlinale und gewann am Donnerstag den Wiener Filmpreis – den Hauptpreis der Viennale. „Die ganze Jury war sich einig, dass es sich bei ,Macondo‘ um ein Meisterwerk handelt“, wurde die Auszeichnung begründet. Mortezai darf sich auch über den Mehrwert-Filmpreis der Erste Bank freuen, den sie sich mit Gerhard Treml und Calice für ihre Kurzfilmserie „Eden's Edge“ teilt. Den Gewinnern wird jeweils ein Monat Aufenthalt in New York ermöglicht. Zudem hat es der Streifen in die Vorauswahl für den 27. Europäischen Filmpreis geschafft, Preisverleihung ist am 13. Dezember in Riga.

Mortezai ließ ihren Film aus ungewöhnlicher Perspektive drehen, zwischen einem Kind und einem Erwachsenen. Das Erwachsenwerden und die Beziehung zu einer Vaterfigur sei einer der zentralen Konflikte, betont die Filmemacherin. Der Tschetschenien-Bezug habe sich aus der Struktur der Simmeringer Siedlung ergeben, weil derzeit hauptsächlich Tschetschenen in Macondo lebten. Die (Laien-)Darsteller für den Film fand sie direkt vor Ort.

Durch ihre persönliche Migrationsgeschichte habe Mortezai einen ganz besonderen Bezug zu dem Film. „Ich wollte mich nicht auf diese klassische Flüchtlingsthematik konzentrieren“, sagt sie. Das sei schon vielfach abgehandelt worden. So werden etwa alle österreichischen Offiziellen, vom Sozialarbeiter bis zur Polizei, auffällig positiv und einfühlsam dargestellt.

Dass in Wien kaum jemand von einer Siedlung namens Macondo weiß, überrascht sie nicht. „Meine Vermutung ist, dass man mit dieser ganzen Asylproblematik nichts zu tun haben will. Wo tut man die Asylanten hin? Irgendwo aufs Land, wo man die Leute nicht sehen und sich nicht mit ihnen befassen muss“, so Mortezai. „Das ist sehr gefährlich, weil durch diese Ghettoisierung die Leute auch kaum Chancen haben, wirklich Teil der Gesellschaft zu werden. Die Siedlung ist ziemlich groß, da gibt's sogar geförderte Stadtwohnungen – aber sie ist halt auch weit weg von allem.“ Die öffentliche Anbindung sei spärlich, am Sonntag fahre nicht einmal ein Bus dorthin.

Dass sie gleich mit ihrem Debütfilm im Wettbewerb der Berlinale vertreten war und den Viennale-Hauptpreis gewann, sei „einfach unglaublich und alles andere als erwartbar gewesen. Was auch immer jetzt auf mich zukommt, ich freu mich einfach.“

ZUR PERSON

Steile Karriere.Sudabeh Mortezai wurde in Deutschland geboren, wuchs im Iran auf und kam mit zwölf Jahren nach Österreich. Sie studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Wien und Film an der University of California. Nach ihren beiden Dokumentationen „Children of the Prophet“ (2006) und „Im Bazar der Geschlechter“ (2009) kommt am 14. November ihr erster Spielfilm „Macondo“ ins Kino. Der Streifen über einen tschetschenischen Buben in der Flüchtlingssiedlung Macondo in Wien gewann am Donnerstag den Hauptpreis der Viennale.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2014)

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