Von der Sehnsucht nach dem harten Mann

Die ÖVP versucht es nach dem braven Funktionär mit dem Typ Landeshauptmann. Das wird der Partei echte Entscheidungen aber nicht ersparen.

So schnell kann es gehen. Eben noch geißelten fast alle politischen Kommentatoren und Instant-Meinungsforscher die ÖVP wegen ihrer altmodischen Bündestruktur, ihrer Abhängigkeit von den Landeshauptleuten, ihres verstaubten Sozialpartnerimages, ihrer altmodischen Traditionen und ihres ergrauten, langweiligen Personals an der Spitze.

Wenige Wochen später ist nun alles anders, dieselben Beobachter und Quickanalytiker sprechen von Neuanfang, Aufholjagd und großen Chancen. Alles dank des neuen Mannes an der Spitze, Reinhold Mitterlehner. Er ist langjähriger Funktionär des Wirtschaftsbunds, stolz auf seine Verbundenheit zu Oberösterreich und Josef Pühringer, kann besonders gut mit seinem Spiegelminister und -freund, dem Gewerkschafts- und Sozialminister Rudolf Hundstorfer. Mitterlehner ist CVer und macht den Job als Wirtschaftsminister schon so lang, wie Werner Faymann Kanzler ist. Entweder sind die Verursacher der veröffentlichten Meinung nicht ganz bei Sinnen, oder es handelt sich um ein besonderes Phänomen. Oder vermutlich beides.

Noch selten zuvor war in der heimischen Innenpolitik zu beobachten, wie wichtig die Person in der ersten Reihe und wie irrelevant Inhalte sein können. Denn Hand aufs Herz: Was Mitterlehner zum Teil bisher formuliert hat, ist zwar durchaus erfreulich, wenn man gesellschaftspolitisch im Jahr 2014 lebt, es handelt sich aber – schon aufgrund der kurzen Zeit seit der Inthronisierung – um zarte Signale. Nicht mehr. Bei der Kombination der Wörter homosexuell, Liebe und Ehe flüchtet man in der ÖVP also nicht mehr auf den nächsten Baum. Frauen müssen beruflich auch gezielt gefördert und befördert werden, die Mikrowelle kann auch der Gatte – ja, so nennen das dort noch manche – bedienen. Und die Ganztagsschule als Einrichtung zur planwirtschaftlichen Zerstörung des ländlichen Familienidylls zu geißeln war doch keine so gute Idee. Diese hier überspitzt formulierten Veränderungen des gesellschaftspolitischen Koordinatensystems der Mitterlehner-ÖVP sind schön und gut, aber noch kein echter Neuanfang. Vielleicht kommt dieser am samstäglichen Krönungsparteitag, den die ÖVP traditionell als günstige, weil vorhersehbare Alternative zu echten Wahlsonntagen feiert. Die schlaue PR-Strategie mit den Liberalismusansagen haben die Neos vorgehüpft: Besser über fröhliche Vielfalt und Offenheit in der Bildungspolitik plaudern als das böse P-Wort in den Mund nehmen. Privatisierungen? Das war das Steckenpferd des Vorgängers! Genau, der mit der Hypo Alpe Adria.

Doch die Stunde der Wahrheit schlägt schon in wenigen Monaten: Egal, wie gut Hans Jörg Schelling wirklich verhandelt und kämpft, es wird am Wirtschaftsminister und ÖVP-Chef liegen, ob das alte (immer wieder gebrochene) Mantra der Wirtschaftspartei diesmal gilt: No more taxes. Nach allem, was von Verhandlern zu hören ist, weiß man, die SPÖ wird auf zusätzliche Vermögensteuern keinesfalls verzichten. Das Thema Erbschaftssteuern ist und bleibt auf dem Tisch. Der Einführung einer solchen zuzustimmen wäre eine Niederlage für Mitterlehner. In der Frage Steuern für jene, die selbst viel verdienen oder Vorfahren gehabt haben, die das konnten, zeigt sich das ungelöste Problem der ÖVP. Eine 20-bis-25-Prozent-Partei muss sich irgendwann festlegen, für wen sie eintritt: für die Unternehmer oder doch für die Arbeiter und Angestellten? Es gibt kein ÖVP-Problem der Bünde, sondern der wirtschaftspolitischen Ausrichtung.

Bis es so weit ist, wird Mitterlehner schöne Tage haben. Dass er die Position mehr schätzt und lebt als die meisten seiner Vorgänger, ist das eingangs angerissene Phänomen: Wenn jener in der ersten Reihe den Job liebt, folgt die Mannschaft. Die Szene des Landeshauptmanns in der Vizekanzlerei, wie das Amt intern heißt, wirkt eine Zeit lang beruhigend.

Bei der zu erwartenden nordkoreanischen Zustimmungsrate für Mitterlehner kann sogar Werner Faymann auf seinem Parteitag mit noch mehr Stimmen rechnen, weil die roten Funktionäre den negativen Vergleich fürchten. Doch danach wird Faymann das machen, was er immer gegen die anderen aktuellen Lieblinge des Boulevards macht: tarnen, täuschen und rempeln. Aber vielleicht wartet ja auch in der SPÖ schon ein Mitterlehner.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2014)

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