Außenminister Sebastian Kurz will das „Österreich-Bewusstsein“ fördern. Beim Begriff Stolz aber heißt es, Maß zu halten, sonst wird eine Tugend rasch zu ihrem Gegenteil.
Mit seiner Kampagne „#stolzdrauf“, die das „Österreich-Bewusstsein“ stärken soll und zu diesem Zweck sogar die Schönheit der heimischen Landschaft anführt, hat Außenminister Sebastian Kurz in den sozialen Medien heftige Kontroversen und ziemlich zynische Bemerkungen ausgelöst. Wie kann eine brave Imageförderung, die vor allem noch zu wenig in ihrer neuen Heimat verankerte Menschen mit Migrationshintergrund ansprechen soll, auf derartigen Widerstand stoßen? Die Hoffnung der ÖVP führt Werte wie Kultur, Demokratie und Toleranz an, und diese sind tatsächlich in jeder Hinsicht zu verteidigen, gerade auf einer Insel der Seligen, oder?
Das Problem liegt vor allem im vieldeutigen Wort Stolz. Er ist in diesem guten Land nicht ausgeprägt, seit 1918 die Monarchie der Habsburger kollabiert ist, gefolgt von der Ersten Republik, mit einem „Staat, den keiner wollte“, von Diktatur und Anschluss, Besatzungszeit und einer friedlichen Zweiten Republik, die inzwischen in der Europäischen Union aufgehoben ist. Nein, beim Nationalstolz geben wir uns noch immer bescheidener als die meisten Nachbarn, da sind Österreicher demütiger als Franzosen, Briten oder Serben. Letztere, die selten einen intakten Staat besessen haben, prahlen sogar seit gut 600 Jahren mit ihren Niederlagen.
Stattlich, kühn oder einfach nur dumm
Die Österreicher aber, die sich, wie Franz Grillparzer wusste, ihren Teil denken, wenn es um die Grenzen des Landes geht, haben vielleicht scharf das Komplexe am Adjektiv stolz erkannt. In althochdeutschen Texten vor 1100 ist es nicht vorhanden, steht in Kluges Etymologischem Wörterbuch, in dem es mit übermütig, vornehm, fein und prächtig umschrieben wird. Im Mittelniederdeutschen bedeutet es stattlich, eine Verwandtschaft mit dem germanischen Wort für Stelze liegt nahe. Man kann stolz auch als hochmütig, überheblich oder kühn definieren. Manche Germanisten leiten es vom lateinischen Wort stultus her – das bedeutet unter anderem töricht, albern, dumm.
Die österreichische Skepsis gegenüber solch einem gefährlich zweideutigen Wort, das zugleich hehr und beschränkt meint, scheint angebracht. „Der Mensch fiel durch Stolz, Gott kam herab in Gnaden“, schrieb im 13.Jahrhundert der Kirchenlehrer Thomas von Aquin. Für ihn ist die superbia eine „Wurzelsünde, noch über den Hauptsünden“. Für die katholische Kirche bedeutet Stolz als Hochmut, Hoffart oder Überheblichkeit laut Katechismus eine der sieben Hauptsünden. Ein für Thomas „zielloses Streben nach egoistischem Herausragen“ verträgt sich nicht mit christlicher Demut.
Aber selbst Stolz war eine Tugend. Das Verhältnis zwischen humilitas und superbia ist neurotisch. Ein echter Ritter taugte nur, wenn er neben „diemüete“ auch eine gehörige Portion Kühnheit hatte: „Hôher muot“ beschrieb ein Hochgefühl dieses Berufsstands. Der Ritter, der einen ganzen Katalog von Tugenden beherzigen sollte, musste sich stets seiner Ehre bewusst sein. Um die Balance zwischen Demut und Stolz zu halten, half am besten eine weitere wichtige ritterliche Eigenschaft – das rechte Maß. Zu hoher „muot“ schadete dem tapferen ebenso wie zu viel Zurückhaltung dem höfischen Ritter.
Auch „#stolzdrauf“, diese ministerielle Beförderung unseres Landes, sollte maßvoll bleiben. Am besten fängt Österreich damit an, auf Zuwanderer ebenso stolz zu sein, wie sie es auf uns sind. Dies hat Tradition, wie die Geschichte des Prinzen Eugen zeigt. Das Volk verehrte ihn als edlen Ritter, nachdem er 1717 Belgrad belagert und erobert hatte. Er scheint die ideale Projektion für tapfere Österreicher zu sein. Dieser Prinz von Savoyen-Carignan, der Verwandte in halb Europa hatte, verbrachte seine Jugend in Paris. Erst als ihm Ludwig XIV. ein Regiment verweigerte, weil er ihm zu klein schien, ging Eugenius 1683 nach Wien und brachte es zu historischer Größe. Er war zu stolz gewesen, sich dem Sonnenkönig zu unterwerfen. Erst dieser Hochmut machte ihn zu einem von uns.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2014)