Lang nach Ende der heroischen Ära der Raumfahrt dürfen wir wieder einmal eine Mission im All gespannt mitverfolgen. Diesmal eine europäische.
Nein, es war keine Sensation, als der ukrainische Astronom Klim Tschurjumow im September 1969 am Institut für Astrophysik in Alma-Ata einen Kometen entdeckte – am Rand einer von seiner Kollegin Swetlana Gerassimenko belichteten Fotoplatte. Die Weltraumforschung hatte damals ganz andere Aufregungen zu bieten: Am 21.Juli 1969 hatten erstmals Menschen den Mond betreten – die US-Amerikaner Neil Armstrong und Edwin Aldrin.
Der Komet, der heute gravitätisch Tschurjumow-Gerassimenko heißt, wäre 1969 auch gewiss nicht als europäische Entdeckung wahrgenommen worden: Sowohl die Ukraine als auch Kasachstan – dessen Hauptstadt Alma-Ata ist – waren Teilrepubliken der Sowjetunion, die im Wettlauf im Weltraum soeben eine entscheidende Etappe gegen ihren Gegner, die USA, verloren hatte. So sah man das damals. Dass sich der geteilte Kontinent Europa an diesem Rennen beteiligen könnte, war unvorstellbar, die europäische Raumfahrtorganisation ESA, 1975 gegründet, konnte sich erst richtig etablieren, als das Kräftemessen im All den USA und der UdSSR nicht mehr ganz so bitterernst war.
Heute gibt es die Sowjetunion nicht mehr, die Ukraine nimmt seit 2003 am europäischen Songcontest teil – Kasachstan hat sich auch schon beworben –, und seit 1971 war kein Mensch mehr auf dem Mond. Zwar hat George W. Bush 2004 erklärt, ein bemannter Mondflug sei wieder auf dem Programm der Nasa, ein solcher war auch für 2018 geplant, wurde aber 2010 wegen Budgetknappheit abgesagt. Bushs Initiative hat schon seltsam gewirkt: ein Versuch, die Raumfahrt wieder als Variation über den amerikanischen Gründermythos zu idealisieren, den Aufbruch ins All als logische Fortsetzung von „Go west“. Ähnlich anachronistisch wirken die Bemühungen Chinas und Indiens, sich im Weltraum zu profilieren.
Keine Frage, das heroische Weltraumzeitalter ist vorbei. Wer heute noch von Space Colonisation schwärmt, ist in den Swinging Sixties stecken geblieben oder ein Nerd, ein Technikträumer, der auch glaubt, dass Roboter die Weltherrschaft übernehmen werden. Das All ist sachlich geworden, dort fliegen die Satelliten, die uns die Wetterprognosen und Fernsehkanäle bringen. Gewiss, dazu kommen Sonden im Auftrag der Wissenschaft, die ungestört von der Erdatmosphäre diverse Wellen messen, die kosmische Hintergrundstrahlung zum Beispiel, aus deren Feinheiten die Physiker auf die Urzeit des Universums schließen. Doch auch hier wird vieles nur angekündigt und dann in die ferne Zukunft verschoben: die von Nasa und ESA geplante Laser Interferometer Space Antenna (Lisa) etwa, die mit drei Satelliten nach Gravitationswellen suchen sollte. 2011 ist die Nasa aus Budgetgründen ausgestiegen, nun avisiert die ESA einen Start im Jahr 2034...
Und in dieser Situation soll man sich dafür begeistern, dass die europäische Sonde Rosetta heute Abend auf dem respektlos als „Tschuri“ abgekürzten, nur vier mal vier mal vier Kilometer großen Kometen landen soll? Mitfiebern, ob sie es schaffen wird?
Ja. Denn diese Mission ist erstens wirklich originell. Noch nie ist eine Raumsonde auf einem so kleinen, wackligen Himmelskörper gelandet. Und Kometen sind faszinierende Objekte, gerade durch ihre wilden Bahnen und ihre bewegte, unstete Geschichte. Sie sind Relikte der chaotischen Frühphase unseres Planetensystems. Und es ist durchaus möglich, dass sie organische Moleküle wie Aminosäuren transportieren, pathetisch von Bausteinen des Lebens zu sprechen ist natürlich übertrieben.
Zweitens ist das Rosetta-Projekt, das eine Milliarde Euro kostet – „nur“ eine Milliarde, darf man in Zeiten der astronomischen Kosten für Bankenrettungen sagen –, ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit europäischer Nationen: 17 sind beteiligt, an fünf der 21 Messinstrumente haben österreichische Forscher mitgebastelt. So können wir heute mit europäischen und österreichischen Gefühlen verfolgen, wie es Rosetta ergeht. Und mit globalen: An Bord ist eine „Rosetta Disc“, außen beschriftet auf Arabisch, Englisch, Hindi, Indonesisch, Mandarin, Russisch, Spanisch und Swahili. Sie archiviert über tausend Sprachen. Auch das ist ein schönes Zeichen der Vielfalt.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2014)