Rosetta: Punktlandung auf dem Kometen

SPACE ROSETTA
SPACE ROSETTAAPA/EPA/ESA/Rosetta/Philae/ROLIS
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Um exakt 17.02 Uhr sandte die Sonde Philae wie berechnet ihr Landesignal vom Kometen. Im ESA-Bodenkontrollzentrum in Darmstadt knallten die Champagnerkorken.

„Acht Hauptstuck sind / die ein Komet / bedeut / wann er am Himmel steht: Wind / Theurung / Pest / Krieg / Wassersnoth / Erdbeben / Endrung / eines Herren Todt“– das stand auf einem Druckwerk vom Jänner 1661, worin die Erscheinung eines Kometen über Straßburg geschildert wird. Tatsächlich: Über Jahrtausende standen Kometen für Unheil.

Das war natürlich Trug – dafür hat sich nun erstmals ein „böser“ Komet sozusagen den Menschen eingefangen: Am Mittwochabend, um 17.02MEZ, sandte Europas Kometensonde Philae nach zehneinhalbjähriger Reise ein Signal, wonach sie eine halbe Stunde zuvor auf dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko gelandet sei. Stephan Ulamec, aus Salzburg stammender Projektleiter von Philae, gab nur Minuten später bekannt: „Das Landewerk ist eingerastet. Wir sitzen auf der Oberfläche und kriegen von dort Daten.“ DiePresse.comtickerte live.

Der Mittvierziger Ulamec hat seit 1994 Philae federführend geplant und verantwortet, er ist im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln tätig, war aber zu diesem Ereignis in der Zentralkontrolle der ESA in Darmstadt. Das Signal ist zu diesem Zeitpunkt von der ESA-Bodenstation Malargüe im Westen Argentiniens in einer Weinregion nahe der Grenze zu Chile eingefangen worden. Kurz zuvor ist gerätselt worden, ob ein möglicher Defekt in einer Landedüse das gesamte beispiellose Unternehmen bedrohe. Am späten Abend bestätigten sich dann die Komplikationen. Wie Stephan Ulamec gegenüber Journalisten erklärte, sei es unsicher, ob die zwei Verankerungsharpunen plangemäß abgefeuert worden seien. Philae könnte auch nur dicht über der Oberfläche schweben. Details wollte er erst heute bekanntgeben. Es ist dennoch einer der größten Erfolge der Raumfahrt und vor allem für jene Europas, für die es ein beispielloses Prestigeprojekt war, das bisher etwa eine Milliarde Euro gekostet hat.

Eingefroren vor Spannung

Die Spannung hat sich den ganzen Mittwoch aufgebaut, und zwar nicht nur im Bodenkontrollzentrum der ESA in Darmstadt bei Frankfurt (ESOC), sondern auch in den anderen Einrichtungen der ESA in Europa, in der Nasa (sie hat ein Instrument auf der Trägersonde Rosetta beigesteuert und ist naturgemäß auch interessiert), an Unis und Sternwarten – und bei den zahlreichen am Bau der Sonden Rosetta und Philae beteiligten Unternehmen, darunter in Österreich.

Das ESOC-Gebäude, ein Ensemble schlichter, mehrstöckiger Gebäude in einer architektonisch ebenso sachlichen Gegend nahe dem Darmstädter Bahnhof, wurde bereits in den frühen Morgenstunden zusehends zu einem, sagen wir, Meteoritenschwarm. Mindestens 300 Journalisten aus der ganzen Welt kämpften um Arbeitsplätze, es mangelte trotz der offensichtlich guten Planung vor allem an Steckdosen für Computer.

Viele Wissenschaftler und Ingenieure der Mission vermischten sich mit den Gästen, zu denen im Lauf des Nachmittags auch etwa die Parlamentspräsidenten Deutschlands und Frankreichs, Hessens Ministerpräsident, zahlreiche Delegierte nationaler Regierungen und die Chefs vieler nationaler Weltraumagenturen stießen. Auch Klim Tschurjumow (*1937) war da, jener sowjetische Astronom, der den später nach ihm benannten Kometen gemeinsam mit seiner Assistentin Swetlana Gerassimenko im Herbst 1969 entdeckt hatte, beide sind Ukrainer. Tschurjumow wurde von seiner attraktiven Enkelin begleitet die in Kiew Informatik studiert.

Klim Tschurjumow
Klim TschurjumowWolfgang Greber

Am Ende drängten sich wohl 800 Personen im Saal von ESOC, in dem die Stimmung in den zwei Stunden vor der Landung immer aufgekratzter wurde, nur um in den letzten 15 Minuten vor der Landung sozusagen vor Spannung einzufrieren, wie es einem Ereignis im kalten Weltraum eben entspricht.

Am auffälligsten war der Brite Matt Taylor: ein stämmiger, ganzkörpertätowierter Londoner, der eher einem (gepflegten) Hell's Angel gleicht. Doch der 41-Jährige ist seit eineinhalb Jahren der oberste Wissenschaftler der Rosetta/Philae-Mission.

Matt Taylor zeigt in gehobener Laune seine Tatoos, darunter jenes auf seinem rechten Oberschenkel von Rosetta
Matt Taylor zeigt in gehobener Laune seine Tatoos, darunter jenes auf seinem rechten Oberschenkel von RosettaWolfgang Greber

Taylor wirkte cool und punktete bei seinen vielen Moderationen mit salopper Sprache, gab aber zu, dass er in Wahrheit zittere, ob die Mission, die im März 2004 gestartet und schon seit 1993 entwickelt worden ist, Erfolg haben werde: „Heute ist der Tag der braunen Hosen“, meinte er, und sagte nebenher zur „Presse“, dass er sich heute wie ein 60-Jähriger fühle und am liebsten etwas rauchen würde.

Missing Link des irdischen Lebens?

Als optisch witzige Ergänzung wuselte der französische Astrophysiker Jean-Pierre Bibring umher. Der 66-jährige umtriebige Pariser ähnelt frappant dem Physiker Albert Einstein, sein höchstpersönliches „Baby“ auf Philae ist eine von zwei Kameras, die noch heute Abend erste Bilder übermitteln soll.

Jean-Pierre Bibring (li). und Stephan Ulamec
Jean-Pierre Bibring (li). und Stephan UlamecESA

Er erhoffe sich, sagte Bibring, in Kometen das Missing Link des irdischen Lebens zu finden. Schließlich sind Kometen, zwischen vier und 4,6 Milliarden Jahren zu Beginn des Sonnensystems entstanden, weitgehend unveränderte Reste aus dieser Zeit, es gibt die Vermutung, dass sie komplizierte Moleküle zur Erde gebracht haben könnten, eine Basis für Leben. Und: Ein wesentlicher Teil des irdischen Wassers könnte von ihnen stammen, und das ist eine der Thesen, die Rosetta und Philae mit dieser ersten Landung auf einem Kometen überprüfen sollen. Bisher ist nur die ESA-Sonde Giotto einem Kometen so nah gekommen, im März 1986, und sie hielt 600 Kilometer Abstand.

Jetzt wurde es intimer: „Wir machen uns für den Kuss bereit“, sagte Matt Taylor etwa zehn Minuten vor der tatsächlichen Landung, die für 16.30Uhr programmiert war. Und dann küssten sie sich. Von wegen Unheil.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2014)

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