Nachverdichtung: Neuer Wohnraum für Wien gesucht

Wiens Bevölkerung wächst rasant. Neuer Wohnraum könnte über Stadien, Verkehrsknoten, Einkaufszentren oder Wohnblocks geschaffen werden, meinen Architekten.

Der Wiener Sportklub hat eine neue Fangruppe: Architekturstudenten der TU Wien. Im Oktober besuchten einige von ihnen die Heimspiele des Traditionsklubs – weniger aus Fußballbegeisterung als zu Studienzwecken. TU-Gastprofessor Herwig Spiegl hat seinen Studenten am Institut für Wohnbau nämlich eine spezielle Aufgabe gestellt: „Tausche Raum für dringend benötigtes Wohnen gegen dringend benötigten Stadionneubau.“ Der notwendige Neubau des Stadions soll – um die Finanzierung zu erleichtern – mit der Errichtung von Wohnraum kombiniert werden. Von den angehenden Architekten sind kreative Lösungen gefragt: „Wohnbau unten, Stadion oben, Wohnungen über die Tribünen, auch schräge Ideen dürfen ausprobiert werden“, verspricht Spiegl. Die Vorschläge werden im kommenden Februar in einer Ausstellung präsentiert.

Platz an der Sonne

Das Projekt hat einen gesellschaftlichen Hintergrund: Bis Ende der 2030er-Jahre wird die Wiener Bevölkerung ungefähr um die Einwohnerzahl von Graz wachsen. Für diese weit über 200.000 Personen muss dringend neuer Wohnraum geschaffen werden. Die Aufgabe beim Sportklubplatz soll zeigen, wie dafür vorhandene innerstädtische Flächen besser genützt werden können, erläutert Spiegl: „Es geht darum, Nutzungen zu mischen, um mehr auf den vorhanden Flächen zu machen, Lösungen zu finden, die wir uns vielleicht noch nicht vorstellen können.“

Als weiteres Beispiel derartiger Nachverdichtung nennt Spiegl, der auch Partner bei AllesWirdGut ist, den Gaudenzdorfer Knoten. Hier könnte er sich eine komplette Überbauung mit gemischter Nutzung von Büro- und Wohnflächen vorstellen. „Mit zwei U-Bahn-Linien gibt es dort bereits eine perfekte Anbindung an den öffentlichen Verkehr.“ Den Grünraum auf dem Boden, der durch die Überbauung großteils verloren ginge, will er durch frei zugängliche Grünbereiche in den obersten Etagen ausgleichen: „Der Platz an der Sonne ist schließlich oben und die Stadtbevölkerung sollte die Möglichkeiten haben, das zu genießen.“

Aufgestülptes Dach

Der Wiener Architekt Walter Stelzhammer hat schon vor einigen Jahren eine ähnliche Idee zu innerstädtischer Verdichtung präsentiert. „Himmel über Fünfhaus“ nannte er sein Konzept, bei dem ein bestehender Häuserblock am Reithoffer-Platz im 15. Bezirk mit einem mehrgeschoßigen Wohndach überbaut werden sollte. Belichtet würden die darunterliegenden Bauten durch großzügige Öffnungen im aufgestülpten Wohndach. „Das schafft nicht nur hohe Wohnqualität, sondern ermöglicht auch eine wesentlich bessere Nutzung der knappen Flächen in der Stadt“, erklärt Stelzhammer. Die zusätzlichen Ebenen würden auf dem vorhandenen Grundstück die Flächen für Wohnen und Arbeiten um 20 bis 25 Prozent erweitern.

Bautechnisch wären solche Visionen inklusive Schwimmbad und Garten im Himmel lösbar. Die größten Hürden finden sich auf der rechtlichen Seite, meint Franz Gruber, Architekt und Mitglied der Geschäftsführung der BEHF Corporate Architects: „Die Rechtsverhältnisse bei Objekten mit funktioneller Durchmischung sind meist komplexer, was besonders sorgfältige Vorbereitungen von Baumaßnahmen erfordert. Außerdem bevorzugen Finanzinvestoren Monofunktionen, weil sich diese besser in Portfolios integrieren lassen.“ Gruber ist ein Verfechter der Verdichtung in den Städten. Der Architekt weist darauf hin, dass die weitläufige Baustruktur und die reduzierte Nutzung von Bauten durch Monofunktionen einen enormen Verbrauch an Fläche und Energie bedingen: „Der Energieverbrauch pro Kopf ist umso geringer, je dichter Menschen zusammenleben und je intensiver sie die Verkehrs- und Raumstrukturen nutzen. Weiträumige Verbauung zieht in der volkswirtschaftlichen Betrachtung einen hohen Faktor laufender Folgekosten für Infrastruktur und Mobilität nach sich.“

Er glaubt letztlich auch, dass die Nachverdichtung zu höherer Lebensqualität beiträgt: „Entscheidend ist die Qualität der stadträumlichen Gestaltung und das Angebot an qualitätsvollen Freiflächen in der Dichte. Die Erfordernis, mit räumlichen Ressourcen intelligent umzugehen, begünstigt Strukturen, die lebensgerechter und schöner sind als jene, die die landläufige Baupraxis zeigt.“

Wohnen auf Shoppingcenter

Ein erstes konkretes Projekt gibt es schon: In Wien Auhof entsteht derzeit auf dem Dach eines Einkaufszentrums ein Wohnbau mit 71 geförderten Wohnungen und einem attraktiven, intensiv begrünten Innenhof. Geplant wurde der Bau von Querkraft Architekten: „Eine Schwierigkeit dabei war, Einkaufszentrumsbetreiber und Wohnbauträger miteinander abzustimmen“, erzählt Architekt Jakob Dunkl. Diese Herausforderung konnte aber ebenso gelöst werden wie eine Reihe technischer Fragen. Dunkl ist überzeugt, dass diesem Projekt noch etliche folgen werden: „Das große Einkaufszentrum wäre außerhalb der Geschäftszeiten tot. Eine solche Durchmischung der Funktion nützt nicht nur die knappen Flächen besser, sondern belebt auch die Stadt.“

Stadt verdichten:

Im Stadtentwicklungsplan 2025 wird der innerstädtischen Nachverdichtung der Vorrang gegenüber neuen Bauten am Stadtrand gegeben. Neben der Nutzung von brachliegenden Flächen soll auch durch Dachbodenausbauten, Aufstockungen und Überbauungen mehr Wohnraum in der Stadt geschaffen werden. Dafür will Wien hoch hinaus: In der Wagramer Straße werden z. B. gerade zwei Wohntürme (Citygate) mit günstigen Smart-Wohnungen und exklusiven Eigentumappartements geschaffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2014)

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