Forstwirtschaft: Der tote Baum ermöglicht neues Leben

Herbstwald im Gegenlicht
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Für das Ökosystem Wald ist Totholz wichtig. Abgestorbene Bäume sollen erhalten werden, um die Artenvielfalt zu fördern: Junge Bäume brauchen die modrigen Stämme genauso wie Spechte, Fledermäuse, Käfer und Pilze.

Alles, was auf den Waldboden fällt, ist Teil einer riesigen Fabrik“, sagt Norbert Milasowszky von Vinca, dem Institut für Naturschutzforschung und Ökologie, das von Uni-Wien-Forschern gegründet wurde. „Der Zweck der Fabrik ist, dass Humus erzeugt wird, der Nährstoff für alle Pflanzen ist.“ Da es in Österreich kaum „Urwald“ mit ungestörtem natürlichen Kreislauf gibt, sollen Maßnahmen nun in wirtschaftlich genutzten Wäldern den Kreislauf wieder ermöglichen. Dazu gehört auch Totholz, das sind umgefallene und stehende, zum Teil abgestorbene Bäume: Sie sind entscheidend für die Artenvielfalt im Wald.

Früher wurden solche Bäume schon aus rein ästhetischen Gründen entfernt: Wie schaut das denn aus, wenn im Wald tote Bäume herumliegen und -stehen? Außerdem fürchten Forstwirte, dass abgestorbene Bäume Niststätten für Schädlinge wie Borkenkäfer sind. „Dabei ist gerade der gefürchtete Fichtenborkenkäfer, Buchdrucker genannt, ein Frischholzbesiedler“, sagt Milasowszky. Er attackiert Fichten, wenn sie kränkeln. „Das passiert, weil Fichten oft dort wachsen, wo eigentlich Laubbäume hingehören – dann haben sie Probleme mit der Wasserversorgung. Wenn der Käfer das bemerkt, greift er an, vermehrt sich explosionsartig und breitet sich auf den ganzen Bestand aus“, so Milasowszky. „Aber das hat wenig mit Totholz zu tun.“

Wie Rosinen im Kuchen

Totholz wird auch Biotopholz genannt, da es ein Biotop für tausende spezialisierte Käfer, Pilze, Bakterien, Moose und Flechten bildet. Auch die Österreichische Bundesforste AG nimmt die Rolle von Totholz ernst und schult Forstwirte darauf, Totholz im Wald zuzulassen. Eine mosaikartige Verteilung, ähnlich den Rosinen im Kuchen, ist besser als eine gleichmäßige Totholzverteilung in Wirtschaftswäldern. „Ökonomie und Ökologie sollen sich nicht ausschließen. Totholz soll als Teil des natürlichen Systems in Wirtschaftswälder integriert werden“, so Milasowszky.

„Moderholz ist wichtig, da sich darin Samen von Fichten und Tannen sammeln können und auf dem verfallenen, von Moos bewachsenen Holz besser keimen als auf Waldboden“, erklärt Gerald Plattner, Leiter des Naturraum-Managements bei den Bundesforsten. Dieser Vorgang wird Moderverjüngung genannt. Auch für kleineres Grünzeug – Flechten, Moose und Pilze – sind abgestorbene Bäume unerlässlich. Nur sie können die schwer verwertbaren Substanzen Zellulose und Lignin, die dem Baum seine bewundernswerte Festigkeit ermöglichen, aufschließen.

Von den rund 5000 im Wald bekannten Pilzarten lebt etwa die Hälfte in und am Totholz. Noch genauer weiß man es von Käfern. „Von 4620 in Deutschland bekannten Arten sind 1377 an Totholz gebunden“, sagt Milasowszky. Davon sind 115 Arten Urwald-Reliktkäfer, die sehr großes, starkes Totholz für ihre Entwicklung brauchen – so enorm alte Bäume fehlen in unseren Wäldern meist.

Uraltbäume nur mehr in Parks

„Nur in alten Parks und Schlossanlagen findet man Altbestände, in denen ganz spezialisierte Arten leben können. In Wien gibt es im Lainzer Tiergarten noch Urwald-Reliktkäfer“, weiß Milasowszky. Diese Käfer brauchen sogenannte Mulmhöhlen, das sind alte Spechthöhlen, in denen sich Wasser sammelt, Pilze wachsen und durch eingetragenes Material so etwas wie ein kleiner Komposthaufen (Mulm) im Inneren des Baumes entsteht. „Der Schwarzspecht ist der einzige Specht, der auch lebende Bäume anklopft. So entstehen Spechthöhlen in gesunden Bäumen. Dort ziehen unzählige Nachmieter ein. Hunderte Käfergenerationen können in diesem Biotop leben“, so Milasowszky.

Holznutzende Vögel wie Spechte sind ein weiteres Argument für die Erhaltung von Totholz. Sie vertilgen schädliche Insekten, und die von Spechten gebauten Höhlen dienen auch Meisen, Kleibern und Eulen als Nistplatz. In geräumigen Baumhöhlen finden sogar Wildkatzen oder Baummarder Platz. Die Bundesforste erstellten kürzlich mit dem Land Niederösterreich im Kremstal einen Managementplan für Kiefer- und Eichenwälder. In den über 200 Jahre alten Beständen fanden sich 22 Fledermausarten, in ganz Österreich sind 27 Arten bekannt.

„Fünf bis zehn Prozent eines Waldes sollten Totholz sein, um eine gute Biodiversität zu sichern“, sagt Milasowszky. Eichen können bis zu 700 Jahre alt werden, Fichten bis zu 600 Jahre, Buchen sterben „bereits“ nach 250 Jahren eines natürlichen Todes. Doch ein Wirtschaftswald soll optimales Blochholz, also Rundholz zur Verwertung in der Holz- und Papierindustrie, hervorbringen. Die Optimalphase ist meist nach 80 bis 120 Jahren erreicht, dann wird geerntet. Deshalb ist Totholz in den heimischen Wäldern meist jünger: Es entsteht durch Stürme, Schneedruck oder Blitzschlag. Auch abgebrochene Äste zählen zu Totholz und fördern die Stabilität des Ökosystems, wenn man sie in Ruhe verrotten lässt.

Eiche verrottet 100 Jahre lang

Wie lange dauert es, bis Holz zu Humus zersetzt wird? Das hängt von der Baumart und von den klimatischen Bedingungen im Wald ab. „Gerbstoffreiche Bäume wie die Eiche sind auch nach 100 Jahren noch nicht verrottet. Buchenholz verrottet rascher, bei einer Pappel im Auwald reichen schon 20 Jahre“, erklärt Milasowszky.

Interessanterweise verhält sich das Laub ganz anders: Eichenlaub verrottet zum Beispiel viel schneller als Buchenlaub. Wer im Buchenwald spaziert, tritt dabei auf dicke Schichten von Laub, die seit mehreren Jahren dort liegen.

LEXIKON

Biodiversität ist die Vielfalt an Ökosystemen, Arten und Genen. In Europa ist ein Viertel der wild lebenden Tierarten vom Aussterben bedroht.

Die Biodiversitätsstrategie der EU bis 2020 fordert die Land- und Forstwirtschaft auf, zur Wiederherstellung der Biodiversität beizutragen. Eine der Maßnahmen ist, eine optimale Menge von Totholz in Wäldern und „Wildnisgebiete“ in Wirtschaftswäldern zu erhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2014)

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