Mikrobiologie: Kleinste Organismen auf und in Totholz

Innsbrucker Forscher untersuchen, wie sich der Klimawandel auf den Abbau von Totholz in den Alpen auswirken kann. Welche Bakterien und Pilze zersetzen Bäume bei unterschiedlichen Temperaturen?

„Totholz hat Mikrobiologen schon vor 25 Jahren interessiert. Erst heute haben wir Methoden, alle Mikroorganismen, die darin und darauf leben, zu bestimmen“, sagt Heribert Insam von der Universität Innsbruck. Moderne Genanalysen und chemische Charakterisierungen können zeigen: „Welche Mikrobe wo ist, und was sie dort tut.“

Von der Anzahl her sind auf Totholz weniger Bakterien, Pilze und Archaeen (einzelligen Lebewesen, die früher Urbakterien genannt wurden) zu finden als im Boden. Denn Zellulose und Lignin, die Hauptbestandteile der Bäume, sind schwer zu „verdauen“. Darauf haben sich nur wenige Arten spezialisiert. Im FWF-Projekt „D.A.CH.-DecAlp“ untersuchen Forscher aus Italien, Deutschland, Österreich und der Schweiz, wie sich künftige Klimaänderungen auf den Abbau von Totholz auswirken können. Die Idee kam von einer Biologiestudentin aus Innsbruck: Judith Ascher arbeitet nun am berühmten Bodenbiologie-Institut in Florenz an der Analyse von Mikroorganismen in Totholz und in Humus.

Zersetzung von Fichtenholz

„Mikrobiom“ nennen Wissenschaftler die Lebensgemeinschaft aller Mikroorganismen eines Habitats. Das Totholz-Mikrobiom besteht im Flachland aus anderen Arten als im Hochgebirge. Daher untersuchen die Forscher im Trentino – auf halber Strecke zwischen Florenz und Innsbruck – Versuchsflächen im Nadelholzwald auf 1000 bis 2200 Höhenmetern und vergleichen Süd- und Nordhang: Die verschiedenen Höhenstufen und Temperaturen wirken wie unterschiedliche Klimaszenarien. So wird sichtbar, wie sich Klimafaktoren auf die Mikrogemeinschaften und die Entstehung von Humus auswirken.

Einerseits wird das bestehende Totholz und seine Verrottung je Klimazone untersucht. Andererseits werden in Feldversuchen kleine Würfel von totem Fichtenholz auf den Waldboden platziert und der Abbau über zwei Jahre verfolgt. In Innsbruck laufen auch Laborexperimente, in denen beobachtet wird, wie Pilze und Bakterien den toten Baum überhaupt finden, um ihn zu zersetzen. Welche chemischen Duftstoffe machen Mikroorganismen Gusto auf Totholz und locken sie an?

„Der Boden und die Bäume sind große Kohlenstoffspeicher. Wir wollen wissen, welche Rolle die Totholzzersetzung im Kohlenstoffkreislauf spielt und welche Nährstoffkreisläufe dabei ablaufen“, sagt Insam. Da Holz beziehungsweise Zellulose keinen Stickstoff enthalten, ist eine Frage: Woher nehmen Mikroorganismen den wichtigen Nährstoff? Ohne Stickstoff kämen sie nicht an das Energiereservoir der Zellulose: an den Kohlenstoff.

„Bakterien können Stickstoff aus der Atmosphäre fixieren, Pilze transportieren oft Stickstoff aus dem Boden in den Baum.“ Dieser aktive Transport von Stickstoff über die feinen Fäden der Pilzzellen wird genau untersucht: „Welche Enzyme werden produziert, um Stickstoff zu binden, zu transportieren und um Zellulose zu zerlegen?“ Die Ergebnisse sind für die Praxis spannend: Mikroben, die Zellulose aufschlüsseln, sind bei der Erzeugung von Biogas im Einsatz. Vielleicht tauchen in den Totholzstudien neue Pilze, Bakterien oder Archaeen auf, die Zellulose in Zukunft noch effizienter in Biogas umwandeln? (vers)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2014)

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