USA: „Ich kann meine Verwandten nicht zu Grabe tragen“

The border fence stands at the United States-Mexico border along the Rio Grande river in Brownsville, Texas
The border fence stands at the United States-Mexico border along the Rio Grande river in Brownsville, Texas(c) Reuters (SHANNON STAPLETON)
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Mit 17 schwamm der Mexikaner Marco Malagon über den Rio Grande in die USA. Seither lebte er in Angst vor Abschiebung.

Dallas. „Fühlen Sie sich als Mexikaner oder als US-Amerikaner?“ Die Frage bringt Marco Malagon völlig aus dem Gleichgewicht. „Ich habe die eine Hälfte meines Lebens hier und die andere in Mexiko gelebt. Wie soll ich das beantworten?“ Dann bricht die Stimme, Tränen kullern. „Niemand kann sich vorstellen, wie viel Schmerz ich empfinde.“ Seine Mutter habe er seit 15 Jahren nicht mehr gesehen. Als die Oma starb, der Vater: Er war nicht da. „Ich kann meine Verwandten nicht zu Grabe tragen.“ Würde er nach Mexiko ausreisen, er könnte nicht in die USA zurück.

Denn Malagon ist ein „illegal alien“, wie das die Amerikaner nennen. Also ein Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung. Er selbst bezeichnet sich als Dreamer – in Anspielung auf den Dream Act, jenen Gesetzesentwurf, der Millionen Latinos vor der Abschiebung bewahren sollte, aber nie in Kraft trat. Also gründete Malagon das North Texas Dream Team, eine von zahlreichen NGOs, die auf eine Reform drängen – und mittlerweile einen mächtigen Lobbyblock stellen. Binnen zehn Jahren sollen hunderte Millionen Euro an diese Gruppen geflossen sein.

Auch Malagon ist einigermaßen prominent, zuletzt trat er in der „Daily Show“ auf, der einflussreichsten Politsatire-Sendung für das liberale Amerika. Seine Bekanntheit schützt den Latino mit College-Abschluss nicht. Mit 17 Jahren schwamm Malagon allein über den Rio Grande. Bis heute treibt ihn die Angst um, ans andere Ufer des Grenzflusses zurückgeschoben zu werden, wie er beim Treffen in Dallas sagt. In der Ölmetropole stellen Latinos bereits die relative Mehrheit. Personal in den Küchen, Reinigungskräfte in den Hotels: Sie alle sprechen hier fast ausschließlich Spanisch.

Malagon ist Wirtschaftsflüchtling. Und er gibt daran einem Akronym die Schuld: Nafta. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen habe seine Mutter, Unternehmerin und Alleinerzieherin mit acht Kindern, in den Ruin getrieben. Die Billigjobs seien nun jenseits der Grenze. Etwa in der Landwirtschaft. Denn die Konkurrenz durch die subventionierte US-Agrarindustrie habe mexikanische Bauern um ihre Existenz gebracht. Mexiko, ein Nafta-Opfer: So sieht das Malagon.

Lang glaubte er an Barack Obama. Der Bruch kam, als der US-Präsident die nun angekündigte Einwanderungsreform wegen der Kongresswahlen im November verschob.

Dass sich die Republikaner gegen die Reform wehren, hat eine Pointe: Gesellschaftspolitisch sind die Latinos nämlich konservativ, sagt Malagon: „Wir sind sehr katholisch.“ Das traditionelle Familienbild sei ihnen wichtig. Er sei auch gegen Abtreibung. In diesem Sinn ist auch Malagon ein Republikaner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2014)

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