Atomgespräche: „Besser kein Deal als ein schlechter Deal“

Israel's Prime Minister Netanyahu attends the weekly cabinet meeting in Jerusalem
Israel's Prime Minister Netanyahu attends the weekly cabinet meeting in JerusalemREUTERS
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Israels Premierminister torpediert nach Kräften einen Pakt mit Teheran. Die Drohkulisse gegenüber dem Iran soll um jeden Preis aufrechterhalten werden.

Jerusalem. Im exklusiven Ambiente des King-David-Hotels in Jerusalem trommelte Juval Steinitz die Journalisten zum letzten Mal zum Generalplädoyer gegen einen Nuklearpakt mit dem Iran zusammen. Israels Geheimdienstminister, mit der Spezialagenda Iran betraut, richtete einen Appell an die westlichen Verhandlungsführer in Wien und trichterte ihnen seine Warnung vor einer „neuen, gefährlichen Weltordnung“ ein. Er brachte die massiven Einwände Jerusalems auf den Punkt: „Besser kein Deal als ein schlechter Deal.“

So lautet der Tenor im Verteidigungsministerium in Tel Aviv, im Außenministerium in Jerusalem oder im Stab von Premier Benjamin Netanjahu. Dem Iran dürfe nicht erlaubt werden, eine Atommacht zu werden. Als Abschreckung haben die Israelis das Beispiel Nordkorea vor Augen. Die militärische Option hält sich Israel zwar offiziell offen, doch als Drohpotenzial hat sie sich inzwischen wohl abgenutzt. Es ist mehr als zweifelhaft, ob Israels Militär überhaupt noch die Kapazität hätte, Irans unterirdisches Atomprogramm zu stoppen.

Juval Steinitz ist dieser Tage ein viel beschäftigter Mann. Hemdsärmlig empfängt der ehemalige Philosophieprofessor eine Journalistengruppe in seinem Büro, weil er sein Sakko irgendwo liegen gelassen hat. Der 56-Jährige nimmt sich kein Blatt vor den Mund. „Er sagt, was Bibi (Netanjahu) denkt“, heißt es in Jerusalem. Und der ehemalige Friedensaktivist, der vom Linken zum Hardliner mutiert ist, steht angesichts der angespannten Sicherheitslage im Land und der Finalphase der Atomverhandlungen in Wien derzeit unter Strom. Steinitz ist stets auf Abruf bereit, wenn der Premier zu einer Kabinettsitzung oder zu einem vertraulichen Gespräch ruft.

Der Ministerpräsident hat die Verhandlungen nach Kräften torpediert, er hat in Washington interveniert, vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York ein Menetekel an die Wand gemalt – eine Comic-hafte Schautafel mit einer Bombe samt glimmender Zündschnur – und des Öfteren mit einem Angriff gegen die iranischen Atomanlagen gedroht. Die Lobby-Armee von Aipac, der einflussreichsten jüdischen Organisation in den USA, hält sich derweil bereit, die Kongress-Abgeordneten im Fall eines Abkommens zu bearbeiten, um die Aufhebung der Sanktionen hinauszuzögern und eine allfällige Einigung zu durchlöchern.

„Netanjahu ist völlig im Bilde über die Atomgespräche“, sagt David Hacham, Berater im Verteidigungsministerium. Trotz der Friktionen mit den USA über das Ende des Friedensprozesses mit den Palästinensern hält US-Außenminister John Kerry die Israelis jederzeit über den Stand der Dinge auf dem Laufenden. Unter Berufung auf einen Insider berichtete die Zeitung „Haaretz“ jüngst auch über eine geplante Verlängerung der Atomgespräche über die Deadline hinaus.

Mangelndes Vertrauen in Atombehörde

Für Israel wäre indes selbst ein Aufschub besorgniserregend: Das Regime in Teheran, so das Argument in hochrangigen Kreisen, könnte in der Zwischenzeit die Urananreicherung weiter forcieren und damit auch weitere Fortschritte beim Bau der Atombombe erzielen. Den Inspektoren der internationalen Atomenergiebehörde in Wien, die das Atomprogramm überwachen sollen, traut Israel ohnehin nicht über den Weg. „Es wäre naiv zu glauben, der Iran würde das Atomprogramm nur für zivile Zwecke nutzen“, sagt Mark Regev, der Sprecher Netanjahus. Außerdem habe Teheran bisher nur „kosmetische“ Konzessionen gemacht.

Irans Atomkapazität würde einen nuklearen Wettlauf im Nahen Osten auslösen, glaubt David Hacham. Ägypten, die Türkei und Saudiarabien würden alle Hebel in Bewegung setzen, um ebenfalls in den Besitz der Atombombe zu gelangen – ein tektonisches Politbeben in einer hochexplosiven Region. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Israel ein Atommonopol in Nahost etabliert hat, obwohl es abstreitet, in Dimona in der Negev-Wüste ein Arsenal an Atomraketen unter Verschluss zu halten.

„Es gibt allen Grund, beunruhigt zu sein“, erklärt der Politikwissenschaftler Gerald Steinberg, Atomexperte an der Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv. „Für Israel ist das eine existenzielle Bedrohung. Es ist das sicherheitspolitische Top-Thema Netanjahus. Die Möglichkeit einer Fehleinschätzung durch den Westen ist riesig.“

Atommaterial für die Hamas

Dabei seien die Iraner jenes Volk in der Region – weil an sich pro-westlich, gebildet und pluralistisch –, das dem israelischen am nächsten sei, wirft Paul Hirschson ein. Den Sprecher des israelischen Außenministeriums treibt die Sorge um, das Atommaterial könnte irgendwann in die Hände der Hisbollah und Hamas fallen – den Schützlingen des Regimes in Teheran. Die Aufgabe seines Landes skizziert er so: „Unser Job in dem Spiel ist es, die Drohkulisse gegenüber dem Iran aufrechtzuerhalten – gemeinsam mit den USA.“

AUF EINEN BLICK

Israel fürchtet, dass ein Atomabkommen mit dem Iran ein nukleares Wettrüsten im Nahen Osten auslösen könnte. Premierminister Benjamin Netanjahu interveniert bei den USA und ist dem Vernehmen nach auch bereit, Kongressabgeordnete im Fall einer Einigung in Wien zu bearbeiten, damit ein eventueller Deal noch nachträglich verhindert werden kann. Auch ein Aufschub der Gespräche wäre für die israelische Regierung nicht akzeptabel. Zu groß ist die Angst, dass der Iran die Zeit nutzen könnte, mit der Anreicherung von nuklearem Material fortzufahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2014)

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