Vater von Ferguson-Opfer: "Gewalt ist keine angemessene Reaktion"

Brennendes Polizeiauto
Brennendes PolizeiautoREUTERS
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Ein US-Polizist wird nach tödlichen Schüssen auf einen schwarzen Teenager nicht angeklagt. In Ferguson eskaliert der Protest. Die Familie ruft zu Gewaltfreiheit auf.

Mindestens 150 Schüsse seitens der Demontranten, 29 Festnahmen, mindestens 12 zerstörte Gebäude und unzählige demolierte, abgebrannte Autos. Das ist die Bilanz einer Krawall-Nacht, wie sie die Stadt Ferguson im US-Bundesstaat Missouri lange nicht erlebt hat. Die Unruhen ausgelöst hatten die Worte des leitenden Staatsanwalt im Fall Michael Brown, Bob McCulloch, am späten Montagabend: "Die Geschworenen sind zum Schluss gekommen, dass es keinen hinreichenden Verdacht gibt, den Beamten Wilson anzuklagen" Der weiße Polizist Darren Wilson (28) muss sich also nicht vor einem Strafgericht dafür verantworten, dass er Anfang August den 18-jährigen unbewaffneten schwarzen Jugendlichen Michael Brown mit einem halben Dutzend Schüsse getötet hat.

Was folgte waren deutlich größere Unruhen in Ferguson als unmittelbar nach den tödlichen Schüssen des Polizisten auf den Jugendlichen im August, sagte der Polizeichef des Bezirks St. Louis, Jon Belmar. Gewalttäter schossen mit Handfeuerwaffen auf  Polizeikräfte, zündeten mindestens zwei Streifenwagen an und plünderten mehrere Geschäfte in Ferguson. Journalisten, die darüber berichteten, wurden von den Plünderern bedroht. Mehrere Gebäude gingen in Flammen auf. Die Polizei feuerte Tränengascontainer in die Menge und setzten Pfefferspray ein. Die gesamte Demonstration umfasste ungefähr 1000 Menschen. Die Feuerwehr sah sich aufgrund der Aggressionen zum Teil nicht in der Lage, die gelegten Brände zu löschen.

Landesweite Proteste

Es sei niemand getötet worden, weder unter den Demonstranten noch bei der Polizei. Die Proteste breiteten sich auch auf andere Landesteile der USA aus: Am späten Montag gab es Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt von der Ostküstenmetropole New York über Boston und Chicago bis hin zu Seattle und Los Angeles an der Westküste.

In New York versammelten sich jeweils hunderte Menschen auf dem Times Square und dem Union Square.  In der Hauptstadt Washington kamen hunderte Demonstranten vor dem Weißen Haus zusammen. Sie forderten "Gerechtigkeit für Mike Brown" und riefen den in Ferguson berühmt gewordenen Slogan "Hände hoch, nicht schießen". In der mehrheitlich von Afroamerikanern bewohnten Westküstenstadt Oakland blockierten Demonstranten eine Autobahn.

Obama: "Gewalt ist keine Antwort"

Unmittelbar nach der Ankündigung, dass Wilson nicht angeklagt wird, wandte sich Präsident Barack Obama an die Nation. "Andere zu verletzen oder Eigentum zu zerstören ist nicht die Antwort", sagte Obama. "Michael Browns Eltern haben mehr verloren als alle anderen. Wir sollten ihre Wünsche respektieren."

Die Familie des Jugendlichen reagierte betroffen. "Wir sind zutiefst enttäuscht, dass sich der Killer unseres Kindes nicht den Konsequenzen seiner Taten stellen wird", ließen seine Eltern über ihren Anwalt mitteilen. Zugleich riefen sie zur Besonnenheit auf: "Auf Gewalt mit Gewalt zu antworten, ist keine angemessene Reaktion."
Browns Vater bat ferner darum, die Kampagne zur Einführung einer Kamerapflicht für alle Streifenpolizisten zu unterstützen, um Beweismaterial in Fällen angeblicher Polizeigewalt zu gewinnen.

Obama ließ offen, ob er persönlich nach Ferguson reisen werde, wie es viele Beobachter schon zu Ausbruch der Proteste im August für sinnvoll empfunden hätten. Er kritisierte die in zahlreichen Studien nachgewiesene ungleiche Behandlung schwarzer Bürger durch amerikanische Polizeibehörden. "Zu oft scheint es, dass das Gesetz diskriminierend angewendet wird. In zu vielen Teilen dieses Landes besteht ein tiefes Misstrauen zwischen der Exekutive und farbigen Teilen der Gesellschaft. Das ist bedauerlich, denn niemand braucht gute Polizeiarbeit mehr als arme Schichten mit hohen Verbrechensraten."

Brown hatte Polizisten angegriffen

Die Aussagen von rund 60 Zeugen ließen nach Ansicht der zwölf Geschworenen (darunter drei Schwarze) den Schluss zu, dass Brown sich mit Wilson ein Handgemenge geliefert haben musste. Wilson gab zwei der insgesamt zwölf Schüsse innerhalb seines Dienstwagens ab. Browns Blut und DNS wurde im Inneren des Autos sowie auf dem Hosenbein von Wilson und auf seiner Dienstwaffe gefunden.

Krawalle in Ferguson
Krawalle in FergusonREUTERS

Die Beweiserhebung widerlegte zudem die ursprünglichen, in manchen Medien verbreiteten Aussagen mehrerer Augenzeugen, wonach Wilson Brown von hinten erschossen habe. "Die Autopsie zeigte, dass Brown keine Rückenverletzungen hatte", sagte McCulloch.

Gerüchte und Unzufriedenheit

Die dreimonatige Beratungsdauer der Geschworenen hatte in Verbindung mit einer sehr kargen Informationspolitik der Behörden von Ferguson für Verwirrung und Unmut gesorgt. Wo es an Gewissheit mangelt, blühen die Gerüchte: Die Geschworenen warteten mit ihrer Ankündigung auf kaltes Wetter, weil dann weniger Demonstranten auf die Straße gehen würden; im örtlichen Krankenhaus seien drei Stockwerke komplett reserviert – einer für verletzte Demonstranten, einer für verletzte Polizisten, einer für Angehörige verletzter Polizisten; der leitende Staatsanwalt, dessen Vater einst von einem Schwarzen erschossen worden war, halte seine schützende Hand über den weißen Polizisten.

(c) APA/EPA/TANNEN MAURY (TANNEN MAURY)

Nichts davon stimmt, aber dass solche Hirngespinste seit Wochen in Ferguson machten, verdeutlichte die Ratlosigkeit, die Verbitterung und den Zorn vieler Menschen nach den Ereignissen vom 9. August dieses Jahres.

Der 18-jährige Schüler Michael Brown, ein fast zwei Meter großer korpulenter Bär von einem Mann, war damals am frühen Nachmittag von einem Polizisten dazu aufgefordert worden, nicht mitten auf der Straße dahinzuschlendern, sondern den Gehsteig zu benutzen. Die Situation entglitt, Wilson gab zwölf Schüsse ab, sechs oder sieben trafen Brown.

Nationale Debatte über Polizei

Brown verblutete an diesem heißen Sommertag auf einer Wohnstraße, seine Leiche blieb stundenlang dort liegen, und Darren Wilson tauchte komplett unter.
Danach folgten gewalttätige Ausschreitungen auf den Straßen von Ferguson, das ebenso brutale wie selbstschädigende Auftreten der taktisch überforderten lokalen Polizei, die mit Panzerwagen, Schallkanonen und Tränengas gegen zunächst friedliche Demonstrationen vorging und auch nicht davor zurückschreckte, Journalisten zu verhaften.

Die Vereinigten Staaten fragen sich seither erneut, ob es sinnvoll war, lokale Polizeikräfte mit überschüssigem Material aus den Kriegen in Afghanistan und im Irak auszurüsten, und ob weiße Polizeibeamte immer das nötige Fingerspitzengefühl im Umgang mit schwarzen jungen Männern walten lassen.

Bub in Cleveland erschossen

Diese Debatte könnte angesichts eines Vorfalls vom Wochenende neuen Schwung erhalten. In Cleveland, Ohio, erschoss ein Polizist den zwölfjährigen Tamir Rice, der in einem öffentlichen Park mit einer Luftdruckpistole auf Menschen gezielt hatte. Augenzeugen hatten die Beamten per Polizeinotruf alarmiert, allerdings hinzugefügt, dass sie vermuteten, die Waffe sei nicht echt. Das ist allerdings erst dann mit Sicherheit festzustellen, wenn man die Waffe in Händen hält; denn eine orange Markierung, mit der Luftdruckpistolen zur Vermeidung von Missverständnissen gekennzeichnet sind, hat gefehlt. Die Pistole sei ein täuschend echt aussehender Nachbau einer halb automatischen Neun-Millimeter-Waffe, sagte eine Sprecherin der Polizei von Cleveland.

Rice war schwarz, die Hautfarbe des Polizisten, der ihn erschoss, ist vorerst nicht bekannt. Der Anwalt der Familie erklärte bereits am Sonntag, nachdem der Bub im Spital an seiner Schussverletzung gestorben war, dass er einen rassistischen Hintergrund ausschließt.

Wilson bereitet TV-Exklusivinterview vor

Dennoch verstärkt dieser Fall die Wahrnehmung vieler Schwarzer, dass sie viel schneller als Weiße ins Visier der Polizeikräfte geraten. Basierend auf den derzeitigen Inhaftierungsstatistiken muss jeder dritte schwarze Mann in den USA damit rechnen, irgendwann in seinem Leben im Gefängnis zu landen – jedoch nur jeder 17. weiße Mann, ergab eine Analyse des Sentencing Project, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für eine Strafrechtsreform einsetzt.

Darren Wilson jedenfalls bereitet, fernab der Öffentlichkeit, seinen großen Auftritt vor. Er hat Vorgespräche mit allen großen US-Fernsehsendern geführt, um die Bedingungen seines ersten großen Exklusivinterviews zu verhandeln.

(og/Ag./Red.)

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