Die unendliche Geschichte: Erklärung des Atomstreits in sechs Punkten

Als im Sommer 2002 iranische Oppositionelle aufdeckten, dass das Mullahregime ein geheimes Atomprogramm betreibe, glaubten wenige, dass das Thema die Welt über ein Jahrzehnt beschäftigen würde.

Zwölf lange Jahre schon beschäftigt und nervt gleichermaßen der Streit um das Atomprogramm des Iran die Weltpolitik und Medien. Doch wie hat alles begonnen? Und was sind die (auch aktuellen) Kernpunkte? Eine Übersicht.

1 2002: Als die iranische Opposition eine Bombe platzen ließ

Im Sommer 2002 meldete die Oppositionsgruppe National Council of Resistance of Iran, dass der Iran heimlich Anlagen zur Urananreicherung, Schwerwasserreaktoren und andere Atomanlagen baue. Zwar war das Land nach damaliger Rechtslage nicht verpflichtet, solche Bauten früher als sechs Monate vor Inbetriebnahme der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien zu melden; es war aber seit 1992 zumindest Brauch, und Umfang und Umstände nährten Befürchtungen einer militärischen Dimension.

2 Die Mühlen der internationalen Diplomatie mahlten quälend langsam

Die IAEA forderte, die Anlagen inspizieren zu dürfen, was Teheran nach Kräften obstruierte. Es tauchten Indizien auf, dass der Iran an der Technik für Kernwaffen interessiert sei, etwa Studien zu Atomwaffendesigns. Verhandlungen der EU mit dem Iran über eine Offenlegung des Programms ergaben wenig. 2006 schaltete die IAEA den UN-Sicherheitsrat ein, der seither in vier Resolutionen Wirtschaftssanktionen verhängte. Seit 2008 verhandelt die 5+1-Gruppe (USA, China, Russland, Großbritannien, Frankreich, Deutschland) mit dem Iran. Ziel: dem Iran im Gegenzug für Sanktionenmilderung wenigstens ein eingeschränktes, leicht überwachbares Atomprogramm ohne Aussicht auf militärische Nutzbarkeit abzuringen.

3 Wie die Sanktionen mit der Zeit greifen und der Iran zusehends weicher wird

Durch UN-Sanktionen und autonome nationale Strafmaßnahmen wurden iranische Persönlichkeiten auf Reiseverbotslisten gesetzt oder deren Auslandsvermögen sowie jene iranischer Banken eingefroren; Ölgeschäfte wurden untersagt, dazu der Handel mit Waren aus den Sektoren Rüstung, Nuklear- und Raketentechnik sowie mit Edelmetallen. Folge: Irans Ölexporte fielen seit 2011 von 2,2 Millionen Fass pro Tag auf etwa 700.000; Irans Ölministerium gab 2013 zu, dass man pro Monat 3,2 bis 6,4 Milliarden Euro pro Monat weniger kassiere; die Inflation stieg auf mehr als 40 Prozent, Irans Währung sackte in den Keller; das Bruttonationalprodukt fiel auf minus ein bis minus zwei Prozent; der Unmut im Volk und in den weltoffenen Eliten wuchs.

4 Der Zwischenerfolg von Genf vom November 2013

Im November 2013 gelang in Genf ein Durchbruch: Binnen sechs Monaten löste der Iran alle Vorräte hoch- und mittelhoch angereicherten Urans (mehr als fünf Prozent Gehalt an spaltbarem Uran) auf, fror Bautätigkeiten ein, stellte etwa die Hälfte seiner rund 20.000 Uranzentrifugen ab, ließ intensivere Inspektionen zu. Man ist bereit, den Schwerwasserreaktor Arak so umzubauen, dass kein Plutonium für Bomben anfallen kann. Umgekehrt wurden die Sanktionen milder: So wurden einige Milliarden Euro eingefrorenen Vermögens zurückgegeben, und der Handel mit Ersatzteilen für Autos, Flugzeuge und Industrie wurde erleichtert.

5 Woran eine Einigung in Wien jetzt gescheitert sein dürfte

Die 5+1-Gruppe forderte – nicht immer unisono, was vor allem an Russland lag – eine Beschränkung der Iraner auf 5000 Zentrifugen sowie den Stopp der Zentrifugenweiterentwicklung, damit konnte Teheran nicht. Ganz heikel war der Punkt Vertragslaufzeit: Die nukleartechnische Selbstbeschränkung Irans – sie steht in einem juristischen Spannungsverhältnis mit dem völkerrechtlich mehrfach verankerten Anspruch auf eine eigene Nuklearindustrie – sollte etwa zehn Jahre dauern (die USA wollten sogar 20); der Iran will sich nur fünf bis sieben Jahre binden. Immerhin: Man sei sich bei vielem sehr nahe gekommen, hieß es. Der Iran werde sogar monatlich rund 560 Millionen Euro aus eingefrorenen Guthaben bekommen, was insgesamt kein schlechtes Signal ist.

6 Ein wichtiges Thema wird selbst von den meisten Medien verschwiegen

Dass laut UN-Resolution 1929/2010 dem Iran die Entwicklung atomwaffenfähiger Raketen verboten wurde, diese Frage aber von den anderen Themen nicht zu trennen ist, wird seltsamerweise meist ignoriert. Von den Verhandlern ist dazu zwar auch wenig zu hören, es ist aber bekannt, dass die Raketen ein Thema sind. Ungünstigerweise sind diese weit reichenden Systeme wie Ghadr und Sejil so wie der Rest des Raketenprogramms für Iran unverhandelbar; in Fachkreisen hört man aber, dass Iran ihre Reichweite auf unter 2500 km limitieren könnte, ebenso ihre Zahl.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2014)

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