Eine Gesellschaft, in der sich ein Teil ausgesperrt fühlt, hat ein Problem

Dass mit Obama erstmals ein Schwarzer Präsident wurde, war ein Meilenstein im Kampf für Gleichberechtigung. Doch es gilt, noch viele Probleme zu lösen.

Es war kein leichter Auftritt für Barack Obama. Als Präsident der USA konnte er nur schwer dem Spruch der Geschworenen im Bundesstaat Missouri die grundsätzliche Legitimität absprechen. Denn die Entscheidung, keine Anklage gegen den weißen Polizisten zu erheben, der in Ferguson den unbewaffneten schwarzen Jugendlichen Michael Brown erschossen hat, ist innerhalb des Rechtssystems der USA gefallen. Und damit innerhalb der Spielregeln, die letzten Endes Obama zum Präsidenten gemacht haben und die er in dieser Position auch peinlich genau befolgen sollte. „Wir müssen die Entscheidung der Jury akzeptieren“, sagte also Obama – nicht jedoch, ohne auf „gesellschaftliche Herausforderungen“ hinzuweisen.

Aus Angst davor, weiße Wähler zu vergraulen, vermied es der Präsident bisher weitgehend, die spezifischen Probleme vieler Schwarzer in den USA zum Thema zu machen. Und er hütet sich davor, sich bei Anlassfällen wie den Todesschüssen in Ferguson klar auf eine Seite zu schlagen. Damit hat er viele seiner Wähler aus der afroamerikanischen Community enttäuscht. Denn nicht wenige von ihnen haben gehofft, mit ihm im Präsidentenamt dort auch einen direkten Fürsprecher für ihre Anliegen sitzen zu haben. Sie hatten erwartet, die Schlagwörter „Hope“ und „Change“, mit denen Obama 2008 in den Wahlkampf gezogen war, bedeuteten tatsächlich eine neue Hoffnung auf eine positive Veränderung der Lage vieler unterprivilegierter Schwarzer in den USA.

Dass mit Obama erstmals ein Schwarzer US-Präsident ist, beweist, dass sich viel verändert hat in einem Land, in dem noch in den Sechzigerjahren Personen wegen ihrer dunklen Hautfarbe in einigen Bundesstaaten per Gesetz zu Menschen zweiter Klasse degradiert worden sind. Nachdem bereits Colin Powell und Condoleezza Rice in der Bush-Regierung hochrangige Ämter innegehabt hatten, zeigte die Wahl Obamas zum Präsidenten, dass Afroamerikanern endlich auch das höchste Amt im Staat nicht mehr versperrt blieb – ein Meilenstein auf dem mühsamen Weg einer lang unterdrückten Bevölkerungsgruppe zu mehr Gleichberechtigung.

Doch trotz dieses positiven Wandels hat sich auch vieles nicht verändert. Rassismus ist in den USA nach wie vor ein Problem. Das reicht von ideologisch geprägten Überlegenheitsfantasien einiger weißer Spinner bis hin zu verschiedensten Formen des Alltagsrassismus. Schwarze werden ungleich häufiger als Weiße von der Polizei kontrolliert. Wer eine dunkle Hautfarbe hat und vielleicht auch noch einen Kapuzenpulli trägt, ist rasch grundsätzlich verdächtig. Teile der afroamerikanischen Community sind nach wie vor gefangen in einem Teufelskreis aus Diskriminierung, schlechter Ausbildung, Armut – und letzten Endes Kriminalität, was wiederum das Vorurteil vom „gefährlichen, kriminellen Schwarzen“ verstärkt.

Gerade der Fall Ferguson zeigt, wie virulent diese Fragen nach wie vor sind. Die Welle der Gewalt, die jetzt die Straßen der Kleinstadt überzieht, das Niederbrennen von Häusern, ist durch nichts zu rechtfertigen. Sie ist aber ein Symptom für tiefer liegende Probleme. Unabhängig von den genauen Umständen der Todesschüsse auf Michael Brown und den Gründen, warum die Jury in dem Fall so entschied: Dass so viele Bürger wütend sind und sich auch zu friedlichen Protesten zusammenfinden, zeugt von ihrem tiefen Misstrauen gegenüber dem Rechtssystem. Ein System, das ihrer Meinung nach unfair ist: das (weiße) Polizisten im Übermaß zu schützen und (schwarze) Bürger zu wenig zu beschützen scheint.

Eine Gesellschaft, in der sich Teile davon – egal, in welchem Maß zu Recht oder zu Unrecht – diskriminiert und ausgeschlossen fühlen, hat ein Problem. Und dieses Problem gilt es zum Wohl der Allgemeinheit zu lösen. Es gebe kein weißes und kein schwarzes Amerika. Es gebe nur die Vereinigten Staaten von Amerika, hat Obama zu Beginn seiner ersten Amtszeit gesagt. Auch wenn er das beste Beispiel dafür ist, dass sich vieles zum Positiven verändert hat: Bis zur Erfüllung dieser Vision gibt es noch viel Arbeit.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2014)

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