Neue Welle auf der Brücke zu anderen Ufern

Eurovision Song Contest 2015
Eurovision Song Contest 2015(c) ORF
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Das Logo für den Songcontest 2015 ist da! Der ORF steht rundweg auf die vollendete Kugelform.

Der Eurovision Song Contest, der 2015 in Wien stattfinden soll, hat ein brandneues Logo: „The Sphere“ heißt die eben vom ORF als Sender des Gastgeberlandes vorgestellte Grafik. Sie besteht aus einer transparenten Kugel, die von einer aus kleinen, leuchtenden Kreisen bestehenden Welle durch- oder umströmt wird. Das symbolisiert laut Österreichischem Rundfunk die positive Vielfalt der Künstler und des Publikums sowie eine sichtbar gelebte Toleranz, die man sich von der Show erwartet. Mit diesem Zeichen werde das Motto des europäischen Gesangswettbewerbs fortgeführt: „Building Bridges“.

Die Brücke, vor allem die goldene, wird tatsächlich häufig in Metaphern verwendet. Im Mythos bedeutet sie oft den Übergang zwischen verschiedenen Seinsweisen, auch der Regenbogen und sogar die Milchstraße wurden als Wege ins Jenseits gedeutet. Sündern widerfährt es, beim Queren in die Tiefe zu stürzen. Scharf wie Messer waren manche Brücken, Perceval und selbst der Prophet Mohammed wussten das, in China, Indien, Persien und bei vielen Indianern fürchtete man solche Passagen. Nach Walhall, also von der Erde zum Himmel, kam man nur über ein gefährliches Ding namens Bifröst, auf dem ein grimmiger Wächter hockte. Erwähnt gehört vielleicht, dass es in vielen Kulturen üblich war, nach Vollendung des Brückenbaus ein Opfer zu bringen. Nein, nicht nur Haustiere, manchmal sogar Jungfrauen. Lateinisch hieß der Hüter der Brücke, der solche Riten vollzog, Pontifex, zumindest laut Volksetymologie. Dieser spirituelle, machtvolle Zeremonienmeister besänftigte in Urzeiten wohl den Flussgott.

Brücken sind heute vor allem Friedenszeichen, und ein solches wurde durch das englische „Sphere“ (Kugel, Erde, Himmelskörper) vom ORF sinnvoll ergänzt. Er gibt sich damit nicht die Kugel und schlägt auch nicht, wie der Wiener sagt, „a Wöln“ oder hat gar aus allzu viel Feierstimmung eine solche, sondern deutet diese Symbole offenbar streng philosophisch.

Wellen, das Wälzen, Wogen, Wallen des Wassers, stehen für individuelles Leben, für das Auf und Ab, wie wir es von der Punktewertung beim Songcontest kennen. Und die Kugel verkörpert mehr noch als simple Kreise Vollkommenheit. In dieser göttlichen Form werden Raum und Zeit überwunden, sie ist laut Platon die Anima mundi. Selbst der Mensch war für ihn ursprünglich, wie er im „Symposion“ den Komödiendichter Aristophanes erzählen lässt, eine Kugel, die beide Geschlechter vereinte. Doch der neidische Götterväter Zeus entzweite dieses Tier mit den zwei Rücken. Seither wird die Sehnsucht nach Wiedervereinigung des in Mann und Weib zerrissenen Wesens in Schlagern besungen. Das wäre doch ein Thema für die Nachfolger von Conchita Wurst! Er/Sie könnte damit eine neue Welle auslösen, auf der Brücke zu anderen Ufern.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2014)

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