Düringer-Nachruf: Schönheit, Humor, Galle

ARCHIVBILD: BURGTHEATER-DOYENNE ANNEMARIE D�RINGER 89-J�HRIG GESTORBEN
ARCHIVBILD: BURGTHEATER-DOYENNE ANNEMARIE D�RINGER 89-J�HRIG GESTORBEN(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Burg-Doyenne Annemarie Düringer starb mit 89. Sie hatte Power und Humor. 65 Jahre gehörte sie dem Haus an. Zuletzt brillierte sie in Thomas Bernhards „Heldenplatz“.

Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ von Peter Hacks, der in den 1960er-Jahren einer der bedeutendsten Dramatiker der DDR und Begründer der „sozialistischen Klassik“ war, wurde 1976/77 im Akademietheater gespielt. Heute würde man Hacks vielleicht einen Theaterdekonstruktivisten in Marx'scher Tradition nennen, damals war Respektlosigkeit vor Dichterfürsten noch heftig umstritten. Achim Benning war Burgtheater-Direktor, und die Burg-Schauspieler hatten oft starke Reserven gegen neue Autoren (z.B. Handke). Annemarie Düringer traute sich, sie spielte die Frau von Stein, die ihrem auf dem Sofa schnarchenden Gatten die Sonnen- und Schattenseiten ihrer Liebesgeschichte mit Goethe erzählt, dessen sexuelle Qualitäten inbegriffen, aber immerhin im Ton der Zeit: einem Monolog in drei Akten. So ausführlich dürfen heute oft nicht einmal mehr echte Klassikerinszenierungen sein.

Das Publikum lauschte gebannt, denn just in diesem Stück kamen viele Talente der Düringer aufs Beste zur Geltung: ihre schöne Sprachmelodie, samt der richtigen Dosis Pathos – das am Theater oft besser als sein Ruf ist –, Ironie und gallbitterer Zorn. Die Frau von Stein war nicht Düringers wichtigste Rolle, aber eine besonders markante. Die gebürtige Schweizerin stammte aus einer Industriellenfamilie. In ihrer Biografie, aufgezeichnet von der Historikerin Marie-Theres Arnbom (Molden, 2003) berichtet Düringer nicht nur von den tiefen Gräben, die sich am Burgtheater nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen NS-Sympathisanten und Opfern, Emigranten auftaten, sondern auch von einem Versuch, sich zu verheiraten. Der Erwählte war überrascht, als er sie auf der Bühne sah: „I did not know, you were such an elaborated actress“, sprach er, die Erwählte hatte Zweifel, ob ihrer Kunst in einer bürgerlichen Ehe genug Raum gegeben würde. Heute ist alles einfacher.

Düringer war eine der Burg-Vestalinnen, sie drehte einige Filme, mit „Sissi“-Regisseur Ernst Marischka oder 1961 mit Heinz Rühmann „Der Lügner“, daheim aber war sie seit 65 Jahren in Wien und am Burgtheater. Hier spielte sie über 70 Rollen, darunter in Inszenierungen von Walter Felsenstein, Leopold Lindtberg, Bernhard Wicki, Peter Hall, Hans Neuenfels u.v.a. Man ging wegen „der Düringer“ ins Theater. Aus dem hübschen jungen Mädchen wurde eine Spezialistin des Eisigen, etwa in Ibsens „John Gabriel Borkman“ oder als Lorcas Bernarda Alba, die in ihrem Fünf-Töchter-Haushalt ein tyrannisches Regiment führt. Köstlich war die Düringer in Bennings Inszenierung von Ionescos absurden „Stühlen“. In jüngerer Zeit entzückte sie als vernachlässigte Gattin des Baumeister Solneß (an der Seite von Hans-Michael Rehberg in München), als skurrile Gouvernante Charlotta in Tschechows „Kirschgarten“ und als ahnungsvolle Haushälterin in Ibsens „Rosmersholm“ (mit Gert Voss), alle drei Aufführungen hat der verstorbene Regie-Grande Peter Zadek inszeniert.

Eine Gräfin von maximaler Grandezza

Eine der späteren Glanzrollen Düringers war die Frau Zittel in Thomas Bernhards „Heldenplatz“, die Haushälterin, die bügelnd und in einem gigantischen Monolog den ersten Akt bestreitet: ein Faktotum, das mehr und Tieferes über die großbürgerlichen Bewohner der herrschaftlichen Wohnung weiß als diese selbst. Und noch einmal erschien die Düringer in einem Bernhard, als Gräfin Gudenus 2007 in „Elisabeth II.“ (wieder mit Voss und Ignaz Kirchner). In ihrem kurzen Auftritt verbreitete sie maximale Grandezza.

Die Düringer hatte auch Humor und Selbstironie: In Bettina Oberlis Film „Die Herbstzeitlosen“ (2006) eröffnet eine 80-jährige Witwe in einem Schweizer Dorf ein Dessousgeschäft, was reichlich Turbulenzen verursacht, Annemarie Düringer spielte eine der teils skeptischen, teils neugierigen Seniorinnen, die das Unternehmen begleiten.

„Ich habe einfach immer Glück gehabt“, sagte Düringer 2010 der „Presse“: „Ich habe einen Hollywood-Vertrag bekommen. Ich konnte in New York leben, habe bei Martha Graham getanzt.“ An der Burg war sie nicht immer glücklich, aber sie liebte das Haus durch zehn Direktionen. Mit 89 ist Burg-Doyenne Düringer in Baden gestorben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2014)

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