Verstecke Plätze: "Sie haben Tauben gegrillt"

Jine Knapp
Jine Knapp Die Presse
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Jine Knapp erkundet gehend Wien. Gespräch über alte Fabriken und Strände auf der Donauinsel.

Wo gehen Sie in Wien gern spazieren?

Jine Knapp: Beim Wienfluss. Weil er so richtig vom urbanen Gebiet hinausführt in die Natur. Also Richtung Purkersdorf und Richtung Westen. Man hat das Gefühl, dass man die Wandlung vom besiedelten Gebiet in immer weniger dichtes Gebiet sieht, bis man bei den Rückhaltebecken dann richtig in der Natur steht.

Aber da ist doch die Autobahn.

Da geht man zuerst noch darunter, und dann wird es immer ruhiger. Beim Wienfluss gibt es übrigens auch Grabsteine. Sie wurden dort verbaut. Ein paar wurden wohl versehentlich mit der falschen Seite herum eingesetzt, man sieht noch die Inschriften. Ich weiß bis heute nicht, welchen Friedhof sie aufgelöst haben.

Wenn Freunde zu Besuch kommen, welche Orte zeigen Sie gern her?

Den südlichen Teil der Donauinsel. Ganz unten bei der Spitze. Dort gibt es einen geheimen Sandstrand, wo man Muscheln findet. Manchmal fahren da ein paar Hausboote vorbei. Das ist wirklich eine wunderschöne Gegend. Dort kann man gut picknicken und hat einen guten Weitblick auf die Donau.

Wie kommt man dorthin?

Es ist auf der Seite der Donau, nicht auf der Donauinsel. Man fährt mit dem Bus bis zum Ölhafen, und dann muss man noch ein Stückchen gehen.

Wie haben Sie den Ort entdeckt?

Bei einer Donauexpedition habe ich mich mit den Gewässern auf der Insel beschäftigt. Beim Bau der Donauinsel hat man ja ein paar Stücke vom Überschwemmungsgebiet übrig gelassen, die habe ich mir angesehen. Darunter fällt auch dieses Stück.

Wo liegen die anderen Gebiete?

Sie verteilen sich über die ganze Insel. Da gibt es etwa den Hüttenteich, den Toten Grund oder den Schwalbenteich. Dann gibt es noch ganz oben im Norden etwas, aber das meiste ist unterhalb der Steinspornbrücke.

Welche Bezirke sind noch eher unentdeckt?

Der 21. Bezirk hat mich oft überrascht, und der 22. Bezirk natürlich auch. Dort gibt es auch Gegenden beim Donau-Oder-Kanal, die man so überhaupt nicht kennt. Natürlich auch der 23. Bezirk bei der Mizzi-Langer-Wand. Mizzi Langer war eine Wiener Kletterin. Wenn man dort startet, findet man unzählige kleine, wilde Pfade, wo es auch nette Dinge zu entdecken gibt. Ich hab zum Beispiel nicht gewusst, dass es dort einen Jungsteinzeit-Steinbruch gibt, wo man hinunterklettern kann.

Was für Dinge erlebt man denn, wenn man in Wien so viel geht wie Sie?

Sehr viel. Ich erkunde ja auch teilweise Hinterhöfe und alte Fabriken. Einmal bin ich bei einer Fabrik mit meiner Kamera hineinmarschiert und habe plötzlich Menschen gehört. Ich bin hinter einer Wand gestanden, und dann ist mir erst klar geworden, dass es hier gefährlich sein könnte. Denn es gab da ein komisches Labor, die Musik spielte und ich vermutete: Die haben mit Drogen gearbeitet. Ich musste da wieder raus, ohne dass mich jemand sieht. Das war ein ziemlicher Schocker.

Haben Sie das gemeldet?

Nein, die Fabrik wurde gleich danach abgerissen.

Welche Menschen treffen Sie, die Sie sonst nicht sehen würden?

Beim Wienfluss begegnet man immer wieder Obdachlosen. Die haben sich zum Teil auch hier niedergelassen, weil sie hier Wäsche waschen. Unter der Autobahn hat sich etwa eine Roma-Familie ein kleines Häuschen gebaut, mit denen kommt man auch ins Gespräch. Man trifft halt gerade unter der Autobahn ganz arme Leute. Weil sie einen guten Regenschutz bieten, da herrscht oft reges Leben. Und einmal habe ich Obdachlose im Wienfluss-Tunnel gesehen. Sie haben Tauben gegrillt.

Steckbrief

Jine Kanpp hat gemeinsam mit Doris Rittberger Wildurb gegründet, eine Plattform für Fußgänger und Spazierwege durch und um Wien.

Auf Wildurb.at sind mitterweile unzählige Touren zu finden. Auch Bücher haben die beiden herausgebracht, unter anderem „Wien geht“ und „Wien geht weit“.

www.wildurb.at

Clemens Fabry

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2014)

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