Kanzler Faymann: "Wir schenken niemandem etwas"

Bundeskanzler Werner Faymann
Bundeskanzler Werner Faymann(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Bundeskanzler Werner Faymann glaubt, dass Staatsbesitz nicht erst dann funktioniert, wenn man ihn verkauft. Ein "Presse am Sonntag"-Gespräch über Ursachen und Lösungen der Wirtschaftskrise und die lauten Rufe nach dem Staat.

Herr Bundeskanzler, haben Sie seit dem Beginn der Finanzkrise persönlich Geld verloren?

Werner Faymann: Nein, ich habe ein solides Sparbuch, daher gehöre ich nicht zu den Verlierern der Krise. Ich habe keine Aktien, dafür aber das Haus meiner Eltern umgebaut – eine bessere Investition.

Was ist denn Ihre Analyse, warum diese Krise entstanden ist?

Wenn der Finanzmarkt auf Produkte setzt, die sich von der Realwirtschaft so weit entfernen, dann ist klar, dass das irgendwann wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Da haben viele 20 Prozent und mehr Renditen versprochen.

Die eigentliche Ursache ist doch, dass die Administration Clinton wollte, dass auch nicht kreditwürdige Leute Kredite für Häuser bekommen, um Benachteiligung auszugleichen. Dafür müssten Sie Verständnis haben.

Da gefällt mir das Modell der Wohnbauförderung besser. Das ist eine solide Form der Unterstützung für kleine Häuslbauer, natürlich auch für Mieter und Eigentumswohnungsbesitzer. Das hat auch gehalten.

War es Staats- oder Marktversagen?

Ich bin natürlich der Überzeugung, dass der Staat zu wenig Kontrolle ausgeübt und zu viel Spekulation zugelassen hat. Es war ein Versagen des Staates, das zuzulassen, aber es war auch klares Marktversagen.

Es gehört zu den Mechanismen des Marktes, dass Blasen platzen.

Aber der Staat hätte nicht Bedingungen zulassen dürfen, die andere, Unbeteiligte, mitreißen. Es verlieren ja jetzt viele, die gar nichts mit Spekulation zu tun haben.

Es wurde ja niemand gezwungen, Finanzprodukte zu kaufen.

Ich habe zum Beispiel als Verkehrsminister bei der Bahn ein Finanzprodukt übernommen, das noch von der schwarz-blauen Regierung angekauft wurde, das auch darauf setzte, dass nichts passieren wird und hohe Renditen zustande kommen.

„Ihre“ Stadt Wien hat Ähnliches gemacht, indem sie Straßenbahnen verkauft und zurückgeleast hat.

Die Länder sagen, dass sie bei der Spekulation so vorsichtig geblieben sind, dass sie in Summe nicht mehr verloren als verdient haben. Aber jetzt bekommen Betriebe keine Kredite, die Banken misstrauen einander gegenseitig, da werden andere mitgerissen.

In einer Wirtschaft, die nicht an der eigenen Dorfgrenze endet, ist es eben so, dass man auch von Dingen betroffen ist, die man nicht selbst verursacht hat.

Aber man muss künftig verhindern, dass sich die Wirtschaft und der Finanzmarkt so abhängig machen, dass im Falle eines Zusammenbruchs von Wetten und Wettprodukten Heere von Arbeitslosen und daraus resultierend soziale Spannungen entstehen.

Sie möchten Spekulation verhindern?

Die Frage ist: Wie kann man durch Finanzmarktkontrolle und durch Regeln ein Chaos verhindern? Dafür sind ja sogar die eingefleischtesten Privatisierer, die noch vor Kurzem meinten, man solle sich überall heraushalten.

Was hat das mit Privatisierung zu tun?

Die Philosophie – wenn man Privaten alles überlässt, ist man am besten dran – geht jetzt in die umgekehrte Richtung. Jetzt wird der Staat aufgefordert, Verschrottungsprämien aus Steuermitteln zur Verfügung zu stellen.

Wer hat den Staat darum gebeten?

Die Autoindustrie.

Soll man Unternehmen staatlich stützen, die auf falsche Produkte setzten?

Ich glaube, dass jetzt ein Standortwettbewerb beginnen wird. Ich bin gegen einen Protektionismuswettlauf. Aber ich bin davon überzeugt, dass, wenn die Vereinigten Staaten jetzt einzelne Industriebereiche stützen, auch Europa einen Weg sucht, das zu machen. Das soll erstens gemeinsam und zweitens möglichst sanft passieren, also etwa in Form von Haftungen, was wiederum unseren Budgetspielraum einschränkt. Wir müssen sparen.

War es nicht auch das ungeschickte Verhalten der Regierungsspitze, das uns womöglich Bonität kostete? Sie sind von der deutschen Kanzlerin abgeschmettert worden, und die Osteuropareise Prölls stellte Österreichs Probleme plötzlich ins Scheinwerferlicht.

Unser Ost-Exposure macht ein Risiko von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Wir haben von der Wirtschaft im Osten profitiert, nun hat sich der Vorteil ins Gegenteil verkehrt. Das hätte man nicht geheim halten können.

Was unternimmt man jetzt, um die Risken gering zu halten?

Gegen das Währungsrisiko außerhalb der Europäischen Union, etwa in der Ukraine oder in Russland, wird Österreich keine Maßnahme allein treffen können. Da wird nur die EU ihre Mittel aufstocken können. Im Inland haben wir richtige Maßnahmen gesetzt, zum Beispiel mit der Haftung für jene, die ein Sparbuch haben.

Klingt gut, wird aber eh nie schlagend.

Jetzt lassen wir einmal beiseite, dass das hoffentlich nie zu hundert Prozent schlagend wird, weil das ja ein unwahrscheinliches Katastrophenszenario wäre. Mit dieser Maßnahme wird aber die Spirale nach unten durchbrochen. Immerhin haben sich verstärkt Menschen bei den Banken angestellt und ihr Geld abgehoben. Jetzt ist das Vertrauen wieder da. Wir schenken niemandem etwas, auch nicht den Banken. Die zahlen dafür Zinsen, und wenn sie das nicht mehr zahlen können, handelt es sich um eine Form der Verstaatlichung. Das mit den Geschenken ist eine falsche Wahrnehmung.

. . . die auch von Ihren eigenen Parteikollegen, siehe Erich Haider, geschürt wird.

Ich habe auch in der SPÖ in vielen Sitzungen gesagt: Wenn wir das Bankenpaket mit einem Schirm von hundert Milliarden ausstatten, dann haben wir nicht hundert ausgegeben, sondern zur Stunde nur zehn Milliarden für Haftungen und 1,9 Milliarden für Partizipationskapital. Ich bin kein Freund der Verstaatlichung von Banken. Das macht man nicht zum Spaß, sondern zur Stärkung der Eigenkapitalbasis.

Was sind Ihre wirtschaftstheoretischen Eckpunkte? Sind Sie Keynesianer?

Ich bin dafür, dass man antizyklisch investiert. Ich gehöre sicher zu jenen in Europa, die für stärkere Kontrollen der Finanzmärkte eintreten und die auch glauben, dass, wenn der Staat etwas besitzt – also Post, Telekom oder Bahn –, es nicht erst dann gut funktioniert, wenn man es verkauft hat.

Hätten Sie die Post denn nicht privatisiert?

Das zu sagen ist jetzt im Nachhinein unfair. Es zeigt sich, dass die Privatisierung der Post kein Vorteil ist. Anfangs ist die Post-Privatisierung ja gut gelaufen. Aber die gleichzeitige Liberalisierung der Märkte hat einen Reformstau aufgemacht – auch bei der Telekom, die uns plötzlich Beamte zurückgeben will. Bei der Privatisierung hat aber jeder gewusst, dass da Beamte tätig sind. Da wäre es doch eigenartig, wenn jetzt wieder der Staat einspringen müsste. Bei der AUA war es ähnlich. Zum Schluss hat es dann geheißen: So, jetzt findet man nicht einmal mehr einen Käufer.

Weil sich zum Beispiel der Herr Faymann noch im März 2008 dafür feiern hat lassen, dass die AUA österreichisch bleiben muss.

Ich habe als Infrastrukturminister immer gesagt, dass die AUA für den Standort große Bedeutung hat.

Aber schief gegangen ist es doch, weil der politische Eigentümer eine Stand-alone-Lösung angeordnet hat.

Das war jetzt eine scharfe Kritik an Herrn Molterer (als Finanzminister Anm.), weil der nämlich dafür zuständig war. Da muss ich ihn direkt verteidigen. Ich glaube, dass das eine Fehleinschätzung des AUA-Managements war. Weder das AUA-Management noch die Post hat etwas vorgeschlagen.

Die Post hat etwas vorgeschlagen: die Postamtsschließungen, die jetzt passieren, obwohl Sie zuerst „Skandal“ geschrien haben.

Und Sie glauben, dass die Post wettbewerbsfähiger ist, wenn die Filialschließungen durchgehen? Manche Menschen glauben, dass wenn dem Staat nichts gehören würde und alles privat ist, wäre es am besten.

Wer hat so etwas vertreten?

Schwarz-Blau, Wolfgang Schüssel und Karl-Heinz Grasser, in den USA George Bush, die neoliberale Ideologie.

Was verstehen Sie darunter?

Dass man darauf setzt, dass sich der Staat möglichst zurückzieht.

Wie werden die jetzigen Kriseninterventionen finanziert?

Durch gemeinsame Maßnahmen in Europa. Die Instrumente werden so eingesetzt, dass nirgendwo ein Staatsbankrott drohen kann.

Und wie wird die Hilfe national finanziert? Wer zahlt später dafür?

Noch gehe ich davon aus, dass wir das durch Einsparungen – beginnend bei der Lehrerdiskussion – finanzieren.

Aber dort wird ja gar nicht wirklich gekürzt.

Nein. Aber es gibt reale Kürzungen: beim Heer, bei der öffentlichen Verwaltung. Bei Bildung, Forschung, Gesundheitsversorgung werden zwar manche Bereiche gekürzt, aber insgesamt sollen Ziele – etwa kleinere Klassen – finanziert werden.

Der Vorsitzende des Staatsschuldenausschusses, Bernhard Felderer, sagt, das AAA-Rating verdankt Österreich seiner bisherigen Budgetdisziplin, was den Ausgabenspielraum weiter einengt. Hat er recht?

Die Frage ist, wie wir uns innerhalb der 27 EU-Länder bewegen. Wir haben eine bessere Prognose als andere vergleichbare Länder, etwa bei der Arbeitslosigkeit. Auch wenn wir bei vier Prozent Budgetdefizit liegen, werden wir bei den besseren Ländern sein. Wir sind stark vom Ostrisiko beeinflusst – aus einer Stärke wurde eine Schwäche.

Das spricht eigentlich für die österreichische Mittelmaßphilosophie.

Nein. Es spricht dafür, Leistung in jedem Sektor zu erbringen und nicht einseitig zu sein. Es gibt viele Betriebe, die realwirtschaftlich gut funktionieren. Denen soll man keine Angst einjagen. Man kann nicht Panik zur politischen Leitlinie erheben. Wir gehen davon aus, dass es gelingt, in Europa die Märkte zu stabilisieren, auch wenn wir nicht versprechen können, dass die Wirtschaftskrise Mitte des nächsten Jahres vorbei ist.

In einem Interview haben Sie kürzlich eingestanden, dass die „sogenannten Intellektuellen“ mit Ihnen noch nicht so recht warm geworden sind. Aber Sie werden auf sie zugehen. Ist das schon passiert?

Da wurde ich nach Kritikern in der Partei gefragt, und ich kann Ihnen sagen, dass ich mit jenen, die sich vor dem Parteitag zu Wort gemeldet haben – von Franz Vranitzky bis Ferdinand Lacina – eine gute Beziehung habe. Ich leide nicht, wenn jemand etwas anderes sagt. In Wien hatte ich zum Beispiel kontroversielle Diskussionen mit Architekten, das hat der Stadt nie geschadet. Es ist Teil der Demokratie und Teil der Funktion eines sozialdemokratischen Vorsitzenden, dass er sich der Kritik stellt. Manchmal hätte ich nur gern, dass das nicht unter dem Titel „Streit“, sondern unter „Diskussion“ gesehen wird.

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