Aus der Traum von Russlands langer Röhre

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Über viele Jahre hat Gazprom felsenfest daran geglaubt, dass es die Pipeline "South Stream" nach Europa bauen wird. Dass man das Projekt nun aufgibt, liegt nicht nur an der Blockade seitens der EU.

Nicht einmal bei der Begründung des Scheiterns herrschte Einigkeit. So umstritten wie das russische Pipelineprojekt "South Stream" zu Zeiten seiner möglichen Realisierung war, so umstritten also bleibt es auch nach seinem Aus, das von Kremlchef Wladimir Putin am späten Montagabend verkündet worden ist. Bulgarien blockiere die Bauarbeiten am Meeresgrund, weshalb das Projekt "unter den jetzigen Bedingungen" nicht weiterverfolgt werden könne, so Putin. Russlands Energieminister Alexandr Nowak holte weiter aus und gab der EU mit ihrer obstruktiven Position die Schuld dafür, dass Russland das Vorhaben aufgeben musste. In Wahrheit freilich, so eine EU-Quelle gegenüber der russischen Agentur Interfax, verstecke sich Russland hinter diesen Erklärungen, um den wahren Grund nicht nennen zu müssen: die wirtschaftliche Unmachbarkeit des Projekts angesichts der fallenden Preise auf Energieträger.

In einem gewissen Ausmaß haben alle Recht. In Bulgarien siegte bei den Parlamentswahlen Anfang Oktober die proeuropäische Partei des Bojko Borisov, der seine Zustimmung zum Weiterbau der Pipeline vom Plazet aus Brüssel abhängig machte.

EU seit längerem zurückhaltend

Die EU ihrerseits freilich gibt sich schon seit Längerem zurückhaltend gegenüber South Stream und hat spätestens seit der Ukraine-Krise auf stur geschaltet und Gazprom die kalte Schulter gezeigt, wobei Brüssel zusätzlich zur South Stream Gazprom gleich auch noch die Totalnutzung der wichtigen deutsch-tschechischen Verbindungspipeline Opal blockierte. Daran hat auch nichts geändert, dass Russland die Welthandelsorganisation WTO einschaltete. Die EU beruft sich auf das so genannte Dritte Energiepaket, das vorsieht, dass Pipelines auf EU-Territorium nicht von Unternehmen besessen werden dürfen, die Gas fördern und liefern. Das Energiepaket schreibt außerdem vor, dass ein Lieferant nicht mehr als die Hälfte der Pipelinekapazitäten nützen darf und der Rest mittels Auktionen vergeben werden muss. Eine Regelung, gegen die Russland Sturm gelaufen war. Aber die EU verweigerte den Russen eine Ausnahme, wie sie sie vor ein paar Jahren der russischen Ostseepipeline „Nordstream“ sehr wohl genehmigt hatte.

Aber auch wenn Russland nicht vom Geld reden will: Mit jedem Monat Zuwarten wurde das Unternehmen auch finanziell immer fragwürdiger. So hat Gazprom im Dezember des Vorjahres bekanntgegeben, dass die Investitionskosten von zuvor 15,5 Mrd. Dollar um 40 Prozent auf 23,5 Mrd. Dollar steigen. Die Vorbereitungskosten auf russischer Seite und das zur Hälfte von Gazprom zu finanzierenden Unterwasserteilstück durch das Schwarze Meer sind darin nicht eingerechnet. Dabei war zu dieser Zeit das Verhältnis mit Europa und der Ukraine noch einigermaßen im Lot. Wenige Monate später hat der Konflikt mit der Ukraine dazu geführt, dass Gazprom milliardenschwere Rückstellungen vornehmen und daher im ersten Halbjahr 2014 einen Gewinneinbruch von 23 Prozent auf 8,8 Mrd. Euro hinnehmen musste.

Ölpreis um 37 Prozent gefallen

Damit nicht genug, ist inzwischen der Ölpreis seit Jahresbeginn um 37 Prozent gefallen, was Gazprom im nächsten Jahr richtig zu spüren bekommt, bildet der russische Gaspreis doch den Preis für Öl und Ölprodukte erst mit einer Verzögerung von sechs bis neun Monaten ab.

Als positives Ereignis für Gazprom kommentiert daher Alexej Kokin, Energieanalyst der Investitionsgesellschaft Uralsib, das Ende von South-Stream. „Wir haben South-Stream schon lange skeptisch bewertet, weil es ein ziemlich teures Projekt ist, eine neue Pipeline zu Märkten hin zu bauen, die Gazprom schon jetzt beliefert“. In der Tat war South Stream nicht dafür konzipiert, unbedingt neues Gas nach Europa zu liefern, sondern die Abhängigkeit von der unsicheren, aber zentralen Transitroute durch die Ukraine weiter zu verringern oder gar überflüssig zu machen.

Dass es neulich bei Gazprom finanziell enger wurde, hat freilich nicht zuletzt mit den westlichen Sanktionen infolge der Ukraine-Krise zu tun. Russland sei einfach gezwungen gewesen, das Projekt aufzugeben, weil es Gazprom aufgrund der Sanktionen nicht gelungen sei, sich die Unterstützung durch die westlichen Kreditgeber zu sichern, betont die „Financial Times“.

Einigung auf Vertrag mit China

Es ist nicht die einzige Folge der Sanktionen. Die Verwerfungen mit dem Westen, der Gazprom zwar mehr als 60 Prozent seines Umsatzes bringt aber zunehmend unabhängiger von russischen Gasimporten werden will, hat dazu geführt, dass Russland und China sich nach über zehn Jahren Verhandlungen auf einen Gasliefervertrag geeinigt und kürzlich noch einen zweiten vorbereitet haben. Das Problem: Gazprom muss dafür zwei neue Pipelines ins Reich der Mitte legen und erhält von China dafür nicht die Vorasuzahlungen, die es sich erhofft hatte. Außerdem müssen die dafür nötigen ostsibirischen Lagerstätten erst erschlossen werden, was Investitionen von 55 Mrd. Dollar verschlingt. Und zu allem Überfluss ist auch der – an sich geheime - Gaspreis für China an den Ölpreis gebunden, wie Oleg Skufinskij, Vizeminister zur Entwicklung von Russlands Fernem Osten, kürzlich ausplauderte.

Vor diesem Hintergrund zwei Pipelines nach China und eine nach Europa zu stemmen, ist selbst für ein Land, in dem die Pipelinelobby zu den stärksten Einflussnehmern auf die Politik gehört, nicht auf die Reihe zu kriegen.

In gewisser Weise markiert das Aus für South Stream den Höhepunkt einer Entfremdung zwischen Russland und Europa auf dem Gasektor, die nicht erst mit der diesjährigen Ukraine-Krise eingesetzt, sondern sich fast über ein Jahrzehnt lang sukzessive entwickelt hat. Ihren Anfang nahm sie mit dem russisch-ukrainischen Gaskonflikt im Jahr 2006. Im Anschluss an die Orange Revolution in Kiew nämlich hat der Kreml der politisch wegdriftenden Ukraine – durchaus zurecht – die Beibehaltung des Billigpreises für Gas untersagt. Was wie eine Entpolitisierung des Gasgeschäftes aussah, war freilich in Wirklichkeit das Eingeständnis, dass das immer imperialistischere Moskau Gas als verlängerten Hebel seiner Außenpolitik benützt. Folgenschwerer als das war noch, dass der Kreml und Gazprom in der Zeit der Rohstoffhausse vor Kraft kaum noch gehen konnten und die Demonstration der Kraft gegenüber den Kunden über langfristige Kundenpflege stellten.

Türkei als Transitland aufgewertet

Nun freilich kultiviert Moskau nicht nur die Ausrichtung nach China. Auch die Türkei wird durch den Kreml als Transitland gehörig aufgewertet. Gazprom will die Leitungskapazität von jährlich 63 Mrd. Kubikmeter, die für South Stream vorgesehen war, nun in die Türkei gelegt wissen und hat dafür am Montag eine Absichtserklärung mit der Türkei unterzeichnet. 14 Mrd. Kubikmeter davon sind für den Bedarf der Türkei, die jetzt schon Gazproms zweitwichtigster Kunde hinter Deutschland ist, vorgesehen. Der Rest sollte an der Grenze der Türkei über einen neuen Gas-Hub an Länder wie Griechenland oder auch Bulgarien realisiert werden.

Ob die Rechnung aufgeht, ist unter Experten umstritten. Uralsib-Analyst Kokin sieht den Vorteil immerhin darin, dass die 4,7 Mrd. Dollar, die Gazprom schon in den Ausbau der innerrussischen Leitungskapazitäten bis zum Schwarzen Meer hin investiert hat, nicht sinnlos investiert wurden. Valeri Nesterov, Analyst von Sberbank Investment Research, empfiehlt, das Projekt Richtung Türkei nicht in Angriff zu nehmen. Denn erstens werde der Gasbedarf in der Türkei nicht wesentlich steigen. Und auch die Türkei stelle als neues Transitland Risiken dar, wie es das schon öfter bewiesen habe.

Die Türkei wird nicht nur neben China zum neuen Gewinner der Verwerfungen zwischen Europa und Russland. Die Türkei wird möglicherweise als Transitstaat künftig zur zweiten Ukraine.

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