Jihad aus Wien: Die düstere Welt des Ebu Tejma

Laut Anwalt hat der inhaftierte Prediger nicht zum Heiligen Krieg aufgerufen. Ton- und Videodokumente zeigen anderes. Demnach ist der Jihad „Pflicht jedes Muslim“.

Wien. Hat er verhetzt? Zur Mitgliedschaft in terroristischen Organisationen aufgerufen? Muslime zum Kampf gegen die „Kuffar“ (Ungläubige) in Syrien angestiftet? Oder war die Razzia, die 900 Polizisten vergangene Woche in Wien, Graz und Linz gegen den internationalen Jihadismus durchführten, nur ein großes Missverständnis? Der Hauptverdächtige unter den 14 festgenommenen Personen behauptet Letzteres. Durchforstet man die vielen Stunden an Predigtmaterial, die Ebu Tejma hinterlassen hat, kommen zumindest Zweifel auf. In Internetforen, auf Videoplattformen und in sozialen Netzwerken kursieren zahlreiche Ton- und Videodokumente, deren Inhalte alles andere als friedlich sind und bis hin zum Aufruf reichen, selbst in den Heiligen Krieg zu ziehen.

Bereits vor zwei Jahren verbreiteten deutsche Salafisten eine Predigt des 32-Jährigen, die, so der Werbetext zum Tondokument, die Vorzüge des Jihad gegenüber anderen gottesfürchtigen Taten beschreibt. Ebu Tejma sagt: „Wenn die Kuffar die Muslime angreifen, dann ist es jedermanns Pflicht, gegen die Kuffar zu kämpfen und den Islam zu verteidigen.“ Und weiter: „Sogar die Frau muss dann kämpfen, auch ohne Erlaubnis ihres Mannes. Aber: Wenn sie weit reisen muss, muss ihr Bruder, ihr Vater oder ihr Mann mit dabei sein.“

„Jihad Pflicht in unserer Zeit“

Gegen Ende des Auftritts geht Ebu Tejma auf das Verhältnis junger Muslime gegenüber ihren Eltern ein. Man müsse diese nicht um Erlaubnis fragen, „wenn der Jihad zur Pflicht jedes Muslim wird. Und das ist der Fall in unserer Zeit“. Der sogenannte Islamische Staat (IS) existierte in der heutigen Form zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht. Jihadismus fand großteils unter der ebenfalls schwarzen Flagge der al-Qaida statt. Für den getöteten Anführer, Osama bin Laden, äußerte der Prediger mehrfach Sympathien. In einem Mitschnitt eines Auftritts in einem Gebetsraum spricht er davon, dass bin Ladens „Ideen weiterleben“.

Auch die Ablehnung der USA scheint ein wichtiger Bestandteil jener Ideologie zu sein, die der Muslim mit serbischem Pass und starker Bindung nach Bosnien vor seinen Zuhörern vertritt. Im Rahmen eines anderen dokumentieren Auftritts dient ihm als Rechtfertigung das brutale Vorgehen der Siedler aus Europa gegen die Indianer in Nord-Amerika. „Amerika wurde auf dem Blut unschuldiger Menschen gegründet“, ruft er in einem Video der Menge zu, ehe er sich auf den al-Qaida-Anschlag auf das World Trade Center bezieht: „Wer verlangt von uns, dass wir wegen 3000 getöteter Kuffar weinen?“ Heutzutage sei es verboten, dies zu sagen, „aber wir werden es sagen, auch wenn sie kommen, um uns die Zunge dafür abzuschneiden“.

Der Anwalt des Beschuldigten, Lennart Binder, negierte in seinen bisherigen Äußerungen gegenüber Medien die aufgezeichneten Predigten seines Mandaten. So bezeichnete er in einer ersten Stellungnahme die Festnahme von Ebu Tejma als „Irrtum“. Dieser lehne die Errichtung eines Gottesstaates nach islamischem Vorbild „dezidiert ab“. Auch sagte er, die Reden enthielten keinen Aufruf, in den Kampf nach Syrien zu ziehen. Auch im Sommer vertrat Binder den Beschuldigten in einem Prozess gegen Medien, die sich ebenfalls auf fragwürdige Predigten beriefen. Damals hieß es, die Videos und Tonmitschnitte seien ohne Wissen von Ebu Tejma entstanden und teilweise den Sinn verfälschend geschnitten worden. Aus den der „Presse“ vorliegenden Videos geht jedoch hervor, dass ein Großteil der Auftritte ohne Schnitte aufgezeichnet wurde, und der Prediger wissentlich vor einer Kamera agierte.

„Schlüsselfigur“

Dass Ebu Tejma Mitstreiter für den Kampf in Syrien rekrutiert hat, glaubt nun auch die Staatsanwaltschaft. Sie sieht in Ebu Tejma sogar eine Schlüsselfigur des Salafistennetzwerks. Der „Kurier“ berichtete unter Berufung auf ihm vorliegende Teile des Gerichtsakts, dass er bei österreichweiten Predigten 14 Personen so radikalisiert habe, dass sie in den Kampf nach Syrien gezogen seien. Aufgrund seiner „Prediger-, Lehr- und Ideologisierungsarbeit“ habe er laut dem Akt „eine zentrale Stellung bei der Anwerbung“ innegehabt. Bei mindestens drei der in der Vorwoche festgenommenen mutmaßlichen Jihadisten handle es sich übrigens um Rückkehrer – sie gelten als besonders gefährlich, weil sie im Umgang mit Waffen und Sprengstoff geschult seien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2014)

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