Konservativ oder pragmatisch

Lehrlinge. Personalisten sind auf Hochleister fixiert – der falsche Menschentyp für die Lehre, meint Jugendforscher Bernd Heinzelmaier. Glücklich werden Unternehmen mit zwei anderen Typen. Von Andrea Lehky

Heike Sommer war selbst einmal Lehrling. Heute ist sie Österreich-Chefin des DHL-Frachtbereichs und der lebende Beweis, wie weit man es mit einer Lehre bringen kann. Es gefiel ihr gar nicht, wie tief unten die duale Ausbildung in der gesellschaftlichen Hackordnung heute steht.

Also nahm Sommer die Sache in ihrem Einflussbereich selbst in die Hand. Was wollte sie jungen Leuten mit auf den Weg geben? Benimmregeln etwa, beginnend mit Bitte und Danke; wie man Gespräche führt; wie man streitet, ohne Porzellan zu zerschlagen; wie man sich selbst organisiert, mit Chef und Kollegen zusammenarbeitet und, ganz oben, wie man sich selbst findet.

Eine eigene Trainerin bringt Sommers Lehrlingen seit drei Jahren diese Skills bei. In der regulären Arbeitszeit, wohlgemerkt. Wer Trainee- und High-Potential-Programme für Akademiker kennt: Dieses unterscheidet sich nur durch seine jugend- und praktikergerechte Aufbereitung. Das Ergebnis: hellwache, motivierte Lehrlinge, deren Sozialkompetenzen höchst erfreulich auf die gesamte Unternehmenskultur abfärben.

„Akademisierungswahn“
Früher hatte die Lehre einen hohen Stellenwert. Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier vergleicht mit den alten Griechen: Einst wandelte der weise Thales von Milet sinnierend unter dem Sternenhimmel, übersah eine Zisterne und plumpste hinein. Eine Thrakerin, eine einfache Frau aus dem Volke, lachte ihn aus – so klug sei er, aber so lebensuntüchtig. Heute wäre es umgekehrt, meinte Heinzlmaier, heute lache der Theoretiker den Praktiker aus. Und damit seine Kinder nur ja keine Praktiker würden, presse er sie so lange wie möglich in das Schulsystem. So stiegen die Maturantenzahlen und drückten den Wert von AHS und BHS; so stiegen die Akademikerzahlen und drückten den Wert der Universität. „Wir haben im Akademisierungswahn – und gleichzeitig fehlen uns die Arbeitskräfte im mittleren Bildungsbereich“, resümiert Heinzlmaier.

Doch zwischen dem Klischee des unvermittelbaren Jugendlichen und Sommers Elitetrupp klafft eine weite Lücke. Wo finden Personalisten solche Rohdiamanten? 

Die Performer sterben aus
Nicht dort, wo sie derzeit suchten, meint der Jugendforscher. Denn die allgemein favorisierten Hochleister, Streber, die nach oben wollen, wären ohnehin am Aussterben. Wozu ihnen also nachlaufen?
Perfekte Lehrlinge wären zwei ganz andere Jugendtypen. Ihnen sollten Personalisten ihre Aufmerksamkeit schenken:

► Der erste ist konservativ-bürgerlich, träumt von Familie und Reihenhaus. Problemlos nimmt er eine weite Anreise in Kauf, will sich aber um Punkt 17 Uhr auf den Heimweg machen. Er ist brav und fleißig – doch mit Karriereversprechen und Weiterbildungsprogammen möge man ihn bitte in Ruhe lassen. Zu finden wäre er in Schule (weil pflichtbewusst) und AMS, aber auch in Möbelhäusern und Baumärkten (weil Heimwerker und Häuslbauer), auf Volksfesten und Veranstaltungen mit Traditionscharakter. Bester Werbeslogan: „Solides Team sucht Mitarbeiter, die langfristig am Erfolg teilnehmen wollen“ – idealerweise von der Österreich-Flagge umweht.

► Der zweite Wunschlehrling gehört zur aufstrebenden Gruppe der angepassten Mitte. Für ihn steht der persönliche Nutzen im Vordergrund. Er quält sich nicht mit Idealen und Werten, er will einfach ein prestigeträchtiges, freundliches Arbeitsumfeld. Mit Kreativität und unternehmerischem Denken hat er nichts am Hut; besser, man sagt ihm klipp und klar, was zu tun ist. Image und Prestige zählen – was die anderen haben, will er auch. Bester Slogan: „Dein Typ ist gefragt“ – und bitte das Gehalt dazuschreiben.

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