EuGH erzwingt Neuregelung der Bedarfsprüfung

(c) AP (Michael Sohn)
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Nach Hartlauers Sieg muss es in Österreich Reformen geben: Das Ermessen der Behörden bei der Bedarfsprüfung ist zu begrenzen, Ambulatorien und Gruppenpraxen sind gleich zu behandeln.

Wien. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs sorgt für heftige Diskussionen in Österreichs Gesundheitswesen. Eine deutsche Tochtergesellschaft von Hartlauer hatte vor dem Verwaltungsgerichtshof Bescheide der Wiener und der Oberösterreichischen Landesregierung bekämpft. Beide Länder wollten Hartlauer die Errichtung von Zahnambulatorien verbieten, da kein Bedarf bestehe. Der VwGH legte dem EuGH die Frage vor, ob die im Wiener und Oberösterreichischen Krankenanstaltengesetz vorgesehene Bedarfsprüfung gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV) verstößt.

Die EU hat im Gesundheitswesen nur beschränkte Kompetenzen. Insbesondere besteht nach Art. 152 Abs. 5 EGV keine Kompetenz in Fragen der Organisation des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung. Wie die Rechtssache Hartlauer zeigt, hält dies den EuGH jedoch nicht davon ab, das Europarecht im Wege der Grundfreiheiten auch auf den Mitgliedstaaten vorbehaltene Bereiche auszudehnen. Der EuGH gelangt in seinem wegen der Sensibilität der Thematik sehr vorsichtig verfassten Urteil zum Schluss, dass das in Österreich bestehende System der Bedarfsprüfung gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt. Dieses Ergebnis steht mit der Judikatur des EuGH zu den Grundfreiheiten in Einklang und überrascht daher wenig.

Überraschender ist, welchen Eindruck die ersten Stellungnahmen zum Hartlauer-Urteil erwecken: dass nämlich Folgewirkungen im österreichischen Gesundheitswesen nicht für möglich gehalten werden. Dieser Befund ist unrichtig. Zwar lässt sich aus dem Urteil nicht ableiten, dass Bedarfsprüfungen schlechthin unzulässig sind. Der EuGH hält jedoch fest, dass die derzeit in Österreich vorgesehene Bedarfsprüfung für Zahnambulatorien aus zwei Gründen gemeinschaftsrechtswidrig ist.

Zum einen führt der EuGH aus, dass den Behörden dabei ein zu weites Ermessen eingeräumt werde. Insbesondere sei die Beteiligung bereits niedergelassener Ärzte geeignet, Zweifel an der Objektivität des Verfahrens zu wecken. Zweitens kritisiert der EuGH die unterschiedliche Behandlung von Ambulatorien und Gruppenpraxen. Diese unterliegen keiner Bedarfsprüfung, während Ambulatorien (nichtbettenführende Krankenanstalten) einer solchen Bedarfsprüfung, die zuletzt sogar noch erschwert wurde, unterzogen werden müssen. Da Gruppenpraxen und Ambulatorien vergleichbare Leistungserbringer sind, sei die österreichische Regelung nicht geeignet, das Ziel der Erhaltung der öffentlichen Gesundheitsversorgung konsequent und systematisch zu verfolgen.

Das Urteil des EuGH erfordert Änderungen der Gesetzeslage: Zunächst muss das Ermessen der Behörden im Zuge der Bedarfsprüfung begrenzt und müssen gesetzlich oder im Verordnungsweg objektive Kriterien geschaffen werden, wie der Bedarf ermittelt wird. So könnten möglicherweise Patientenzahlen – vergleichbar zu Regelungen im Apothekenbereich – festgelegt werden, die den Antragstellern im Vorhinein bekannt sind. Und: Das Urteil erfordert eine weitere Anpassung in Bezug auf die Ungleichbehandlung von Ambulatorien und Gruppenpraxen. Diese kann nur dadurch beseitigt werden, dass entweder auch für Gruppenpraxen eine Bedarfsprüfung eingeführt oder auf die Bedarfsprüfung generell verzichtet wird.

Diskussion erst am Anfang

Die Diskussion steht am Anfang. Bereits jetzt kann jedoch festgehalten werden, dass das Urteil Auswirkungen auf alle Arten von Gruppenpraxen und Ambulatorien hat. Eine pauschale Aufhebung der Bedarfsprüfung ist unwahrscheinlich, da in diesem Fall Ambulatorien ohne jede Einschränkung zugelassen würden. Damit hätten die bereits bestehenden Gruppenpraxen und Ambulatorien mit deutlicher Konkurrenz zu kämpfen. Und es würde im Hinblick auf Vertragsabschlüsse mit Sozialversicherungsträgern und auf Kostenerstattungsansprüche – ausgenommen Großgeräteplan – eine erhebliche Belastung auf das österreichische Sozialversicherungssystem zukommen. Angesichts der im österreichischen Gesundheitswesen bestehenden angebotsinduzierten Nachfrage (das gesteigerte Angebot vergrößert auch die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen) würden die Kosten der Sozialversicherungsträger massiv ansteigen.

Die Einführung von Bedarfsprüfungen für Gruppenpraxen würde wiederum einen schweren Rückschlag für die Bemühungen bestimmter Stakeholder im österreichischen Gesundheitswesen darstellen, die Gruppenpraxis zu verankern. Aufgrund der bereits guten Versorgung im österreichischen Gesundheitswesen wäre im Fall der Einführung von Bedarfsprüfungen für Gruppenpraxen davon auszugehen, dass Gruppenpraxen nur in ausgewählten Bereichen zugelassen werden könnten. Die restriktive Zulassungspolitik im Hinblick auf Ambulatorien würde sich daher auf Gruppenpraxen erweitern.

Österreich in der Zwickmühle

Im Ergebnis führt das EuGH-Urteil Österreich in die Zwickmühle, ob es die Flexibilität der Gruppenpraxen beibehalten will und damit zugleich die Bedarfsprüfung für Ambulatorien fallen lässt oder für beide restriktive Bedarfsprüfungsszenarien einführt. Als möglicher dritter Weg könnte bei der Bedarfsprüfung zwischen Einrichtungen mit Kassenverträgen und solche ohne unterschieden werden.

Dr. Zivny, LL.M. ist Partner,
Dr. Kristoferitsch, LL.M. Rechtsanwaltsanwärter bei der Partnerschaft von Rechtsanwälten – CHSH Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati.

AUF EINEN BLICK

Der Europäische Gerichtshof entschied, dass die bestehende Bedarfsprüfung für Zahnambulatorien der EU-Niederlassungsfreiheit widerspricht. Nun hat Österreich drei Möglichkeiten: Es kann die Bedarfsprüfung für Ambulatorien ganz fallen lassen oder für Gruppenpraxen und Ambulatorien gleichermaßen restriktive Bedarfsprüfungsszenarien einführen. Oder es unterscheidet bei der Bedarfsprüfung zwischen Einrichtungen mit und solchen ohne Kassenvertrag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2009)

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