Dialekt bis Internet: Deutsche Sprache wird bunter

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Germany Ruegen Two young female friends with smartphone at the beach model released Symbolfoto PUB(c) imago/Westend61 (imago stock&people)
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Sprachwandel ist ein Prozess, in dem sich ruhige und dynamische Phasen abwechseln. Mit der Online-Kommunikation wird die Sprache noch vielfältiger. Von Verfall zu sprechen, sei aber falsch, sagen Experten.

Die Band „TOI“ aus dem Tiroler Oberland textet im „Wenner Dialekt“. Bei Sätzen wie „Wårum bleibt inser Walt nia stiah?“ („Warum bleibt unsere Welt nie stehen?“) kann es mit dem Verständnis hapern. Die Band hat dazu ein Wennerisch-Deutsch-Wörterbuch online gestellt.

Der Wenner Dialekt ist auch im Tiroler Dialektarchiv am Institut für Germanistik der Uni Innsbruck dokumentiert. Damit ein Dialekt lebendig bleibt, muss er jedenfalls gesprochen oder eben gesungen werden. Sprachwissenschaftlerin Irina Windhaber vom Institut für Sprachen und Literaturen der Uni Innsbruck beobachtet, dass sich in Innsbruck die Aussprache wandelt: Junge Tiroler verwenden öfter sprachliche Formen des Standarddeutschen, sie sagen etwa „ist“ statt „ischt“. Zugleich wird im öffentlichen Diskurs aber oft vom Sterben des Dialekts gesprochen.

Momentan habe die Tendenz, den Sprachwandel negativ – im Sinne eines Verfalls – zu deuten, laut dem Soziolinguisten Manfred Glauninger wieder Hochkonjunktur. Er selbst ist vom Gegenteil überzeugt: „Der Dialekt ist durch die digitale Kommunikation punktuell sehr präsent und dadurch wieder stärker im Bewusstsein.“ Glauninger lehrt am Institut für Germanistik der Uni Wien und forscht am Institut für Corpuslinguistik und Texttechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zur Vielfalt an Erscheinungsformen der deutschen Sprache in Österreich. Er entwickelt eine soziolinguistische Theorie, die Vielfalt als kommunikative Ressource interpretiert. Dass Sprachwandel negativ wahrgenommen wird, ist für ihn nicht neu, aktuell falle aber die Dynamik auf. „Wir befinden uns in einer besonders dynamischen Phase, was durch die digitale Kommunikation beeinflusst ist“, so Glauninger. Diese könne sich künftig noch weiter beschleunigen.

Innere Mehrsprachigkeit

Wie präsent dieses Thema ist, zeigt die Praxis: Wer statt eines „Entschuldigung“ ein knappes „Sry“ erhält und mit „PLS“ statt „Bitte“ nichts anfangen kann, sieht mittlerweile fast schon alt aus. In der Netzsprache, die für Online-Kommunikation via SMS, WhatsApp, E-Mail oder auf Social-Media-Plattformen verwendet wird, sieht der Soziolinguist eine neue Sprachform, die die „innere Mehrsprachigkeit“ erweitert: Darunter versteht man, dass man in einer Sprache etwa zwischen Dialekt, Standard- und Fachsprache wechseln kann.

Mit der Online-Kommunikation hat sich der Sprachgebrauch verändert, auch bei Glauninger selbst. Die schriftliche Kommunikation wurde zum Regel-, das Telefonat zum Sonderfall. Aber: Bei dem, was in SMS, Blogs oder E-Mails getextet wird, handelt es sich vom Konzept her um gesprochene Sprache. Von klein auf solle deshalb vermittelt werden, dass diese Art von Online-Kommunikation und geschriebene Sprache zwei verschiedene Sphären sind. So wie im Berufsleben auch eher Standarddeutsch statt Dialekt gesprochen wird. Gelegentliches Mischen ist aber erlaubt.

„Die deutsche Sprache ist durch die Netzsprache vielfältiger geworden. Wandel geschieht in Teilbereichen, nie in der Sprache als Ganzes.“ Die junge Tiroler Musikszene geht mit gutem Vorbild voran und mischt nicht nur die Musikstile, sondern treibt es auch sprachlich bunt. Wie die Tiroler Dialekt-Reggae-Band Die Zuagroastn, die auf Facebook gern auf „a gscheidz Line-Up“ aufmerksam machen.

LEXIKON

Netzsprache. Im World Wide Web existieren unzählige Sprachen in mündlicher wie schriftlicher Form in den verschiedensten Erscheinungsformen. Als Netzsprache im engeren Sinn wird jener Sprachgebrauch verstanden, der erst durch digitale Kommunikationsmedien entstanden ist. Die Netzsprache ist vom Konzept her mündlich, hinsichtlich der medialen Umsetzung aber schriftlich. Deshalb fließt viel „Sprechsprachliches“ ein, und Orthografie spielt eine nachgeordnete Rolle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2014)

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